"Das letzte Geld haben wir für unsere Lookbooks zusammengekratzt": Schmuckdesignerin Birgit Schmidt erinnert sich noch gut an ihre Anfänge, 2011 am Küchentisch in London. Gemeinsam mit Geschäftspartner Sofus Graae schickte sie ihre Lookbooks an eine Handvoll Shops. "Die einzige Antwort kam ausgerechnet von Colette, dem besten Concept-Store der Welt." Seither verkauft der berühmte Shop Schmuckstücke des Labels Smith/Grey.

Auch sonst hat sich seit der Labelgründung einiges getan. Die gebürtige Wienerin, die nach ihrem Architekturstudium an der Angewandten am Londoner Royal College Schmuckdesign studierte, werkt heute im 15. Wiener Gemeindebezirk, Geschäftspartner Graae arbeitet in London, und Schmidt pendelt regelmäßig von der Donau an die Themse. Das Label Smith/Grey ist symptomatisch für eine lokale österreichische Schmuckszene, die sich in den letzten Jahren zunehmend heterogenisiert hat – vom exzentrischen Autorenschmuck bis zum ambitionierten Designerschmuck ist alles mit dabei.

1. Smith/Grey – die Ambitionierten

Die beiden Macher von Smith/Grey haben ihr Label von Beginn an international ausgerichtet, denn: "Die Leute sind in Wien sehr vorsichtig, neue Schmucklabels brauchen hier Zeit", meint Birgit Schmidt, die nebenbei an ihrer ehemaligen Ausbildungsstätte in London unterrichtet. Ihr Label, das in Wien beim Juwelier Köchert und im hauseigenen Onlineshop erhältlich ist, stehe für "traditionell-minimalistischen Schmuck mit einem spielerischen Touch", erklärt die Schmuckdesignerin.

Die Schmuckstücke von Smith/Grey werden in Bronze oder vergoldetem Silber gefertigt, im Sommer brachte das Designduo eine 18-Karat-Gold-Kollektion heraus. Zwei Kollektionen würden im Jahr produziert, zwischendurch gebe es kleine Updates, denn Schmidt ist sich sicher: "Eine Kollektion im Jahr ist auch im Schmuckbereich zu wenig. Die Kunden und die Presse sehen sich sehr schnell satt." Seit einem Jahr arbeitet das Label mit einem italienischen Produzenten zusammen und greift in London auf Handwerker vom Fach zurück: "Da gibt es ganz tolle Graveure." Feine Schmuckstücke mit Steinen fertigen Schmidt und Graae heute fast ausschließlich in 3-D-Technik.

Hand drauf: Designerin Birgit Schmidt betreibt mit Sofus Graae das gemeinsame Label Smith/Grey – hier im Bild ein Model mit ihren Entwürfen.
Foto: Smith/Grey

2. Neat – die Quereinsteigerin

Einen ganz anderen Ansatz hat Andrea Lems. Sie steht in ihrem hellen, minimalistischen Shop am Ilgplatz im Wiener Stuwerviertel. Hier verkauft die Quereinsteigerin, die in den letzten Jahren für die Designerinnen Ute Ploier und Eva Blut gearbeitet hat, nicht nur feinen Perlenschmuck ihres Schmucklabels Neat, sondern auch eigene Taschen, Socken und Bürokram kleiner Labels. Über ihren Schmuck hat sich die 35-Jährige in den letzten zwei Jahren einen treuen Kundenstamm aufgebaut.

"Weil ich so schmale Armgelenke habe, habe ich Armbändern für mich selbst hergestellt." Das blieb nicht lange unbemerkt. Freundinnen gaben Bestellungen auf, Lems eröffnete schnell einen eigenen Onlineshop. Der funktionierte sofort. Seitdem Lems einen Goldschmiedekurs besucht hat, produziert sie auch Ketten: Sie sprächen eine ältere Klientel als die schmalen Freundschaftsarmbänder an, erklärt die Quereinsteigerin. Die Schmuckmacherin steht für einen Typus von DIY-Schmuckmachern, die Spaß an Social Media haben. "Ich habe über Instagram wahnsinnig viel verkauft." Mit dem Shop am Ilgplatz ging für sie ein Traum in Erfüllung: "Ich wollte mich immer mit einem eigenen Laden selbstständig machen."

Heimischer Schmuck: Andrea Ehm gründete 2014 ihr Label Neat.
Foto: Maximilian Salzer

3. Katie Gruber – die Umtriebige

Auch die gebürtige Engländerin Katie Gruber setzt momentan ganz auf Stamm- und Laufkundschaft im siebten Wiener Gemeindebezirk. Die Schmuckdesignerin hat sich mit ihrem Schmuck ("vom Design her sehr rau und stark von der Natur inspiriert") in Wien in der Lindengasse 5 eine treue Stammkundschaft erarbeitet. "Bei mir läuft viel über Mundpropaganda." Derzeit entwickelt Gruber mit ihrem Mann, der ihr Label als Geschäftsführer betreut, einen Onlineshop. Das liegt nahe, auf Instagram kommen ihre Schmuckstücke besonders gut an.

Die Schmuckdesignerin werkt selbst in ihrem Shop-Atelier in der Lindengasse, ein Goldschmied unterstützt sie mit dem Fassen von Steinen und bei klassischen Schmuckstücken mit 3-D-Drucken. Rund zehn Prozent ihres Schmucks lässt Gruber so fertigen. Komplizierte Teile können so in einem Stück und unter geringerem Zeitaufwand gefertigt werden.

Noch sei die 3-D-Technik nicht besonders günstig, aber "Materialien und Plottertechnik haben sich in den letzten drei Jahren enorm verbessert", erklärt die Schmuckdesignerin. Einen Großteil ihres Schmucks fertigt Gruber, die in Florenz an der Alchimia studiert hat, dennoch mit der Hand: "Mit 3-D würde vieles zu perfekt aussehen" – Gruber kommt aus der künstlerischen Schmuckszene. Heute hat sie ihren Platz zwischen dieser und dem Modebereich gefunden.

Foto: Peter Grillmair

4. Sonja Bischur – die Erfahrene

Auch Sonja Bischur, eine der profiliertesten Schmuckdesignerinnen Österreichs, hat vor einem Jahr einen eigenen Shop eröffnet. In der Schönbrunner Straße 24 im fünften Wiener Gemeindebezirk öffnet die 1966 in Salzburg geborene Designerin seither jeden Donnerstag und Freitag ihre Türen: "Ich mag, dass das so analog, ehrlich und einsichtig ist." Bis dahin war es ein langer Weg. Ursprünglich war Bischur Teil der Kunstschmuckszene, irgendwann empfand sie diesen Weg als Sackgasse. "Als ich studiert habe, gab es noch keine explizite Schmuckausbildung in Österreich, es war schwer, sich über Österreich hinaus einen Namen zu machen."

Sie entschied sich, international und in Kollektionen zu arbeiten. Seit Eröffnung ihres Shops arbeitet Bischur wieder anders. Statt die Produktion aus der Hand zu geben, hat sie sich seither wieder vermehrt klassischen Schmuckmaterialien zugewandt. "Ich liebe die Handarbeit und die Arbeit am Material – und endlich stehe ich auch wieder in direktem Kontakt mit den Endkunden." Parallel zu ihrem Schmucklabel unterrichtet die Designerin seit sechs Jahren am Abendkolleg für Schmuck an der Herbststraße, dort sind steigende Studentenzahlen zu verzeichnen: "Es gibt einen Trend hin zum Handgemachten." Die Schmuckszene in Wien sei dennoch überschaubar und familiär. Die Abgrenzung von Autorenschmuck und Modeschmuck, die gebe es nach wie vor, erklärt Bischur. Sie glaube aber, dass die Grenzen zunehmend verschwimmen.

Sonja Bischur konzentriert sich seit Eröffnung ihres Shops auf klassische Materialien.
Foto: Sonja Bischur

5. Hian Jewellery – der Nachwuchs

Bestes Beispiel dafür sind Ani und Hagop Asvazadurian. Ihre Eltern führen in der Seilerstätte in Wiens erstem Bezirk ein Juweliergeschäft, im Frühjahr haben sich die Geschwister mit ihrem Label "Hian Jewellery" selbstständig gemacht. "Mein Bruder ist Goldschmiedemeister und arbeitet seit über zehn Jahren in der Werkstatt", erzählt Ani Asvazadurian, die selber an der Angewandten studiert hat. Ihr Bruder habe sich eigentlich allein selbstständig machen wollen, dann haben die beiden gemerkt, dass sie gut zusammenarbeiten können: "Er ist der Profi, ich mache die Designs." Ani Asvazadurian erklärt: "Wir mögen vor allem minimale und abstrakte Designs."

Im Moment arbeiten die beiden Geschwister an ihrer zweiten Kollektion aus Silber, Weißgold und Gold. Sie können auf Materialvorräte und Maschinen des elterlichen Betriebs in der Seilerstätte zurückgreifen. Dort werken die beiden in zwei Räumen hinter dem Verkaufsbereich, und dort bieten sie auch regelmäßig Workshops an. Vorne steht eine kleine Vitrine mit der ersten eigenen Kollektion, ansonsten setzen die beiden auf den Onlineverkauf. Ähnlich wie Andrea Lems oder Katie Gruber inszenieren Ani und Hagop Asvazadurian ihren Schmuck auf Instagram: "Der Kanal ist noch wichtiger als Facebook für uns."

Ani und Hagop Asvazadurian haben Anfang dieses Jahres das Label Hian Jewellery gegründet.
Foto: Hian Jewellery

6. Lena Grabher – die Experimentelle

Lena Grabher hat zwar auch ein Profil auf Instagram angelegt, das spielt für sie bislang aber keine große Rolle. Das mag der experimentellen Ausrichtung ihres Schmucks geschuldet sein. Gerade erst hat Grabher, Jahrgang 1982, mit ihrer Masterarbeit "Diplopia" den Eligiuspreis abgeräumt: Die sperrigen Stücke, bestehend aus optischen Linsen und Elastoplastik, einem fleischfarbenen elastischen Material, wurden 3-D ausgedruckt. "Am liebsten probiere ich neue Dinge aus. Statt auf dem Papier zu entwerfen, mache ich Materialexperimente. Bevor ein Stück entsteht, produziere ich jede Menge Prototypen."

Neben ihren konzeptuellen Arbeiten stellt die Schmuckdesignerin im Atelier "Stoß im Himmel", das unlängst seinen zwanzigsten Geburtstag feierte, auch tragbare Stücke, Armreifen und Broschen her. Zwischen den Welten zu wandeln findet die Absolventin der Alchimia in Florenz bereichernd. "Ich finde toll, dass es in Wien noch viele klassische, traditionell arbeitende Goldschmiede gibt. Gleichzeitig gibt es eine recht gut vernetzte Kunstschmuckszene, die meinem Gefühl nach im Wachsen ist. Das können zwei sehr unterschiedliche Welten sein, ich habe aber nicht das Gefühl, ich müsste mich entscheiden, nur das eine oder das andere zu machen."

Lena Grabher fertigt Kunstschmuck aus optischen Linsen.
Foto: Lukas Gaechter

7. Florian Ladstätter – Enfant terrible

Ganz anders Florian Ladstätter. Der 1967 geborene Schmuckdesigner – Enfant terrible der Wiener Schmuckszene – hat sich in den Neunzigerjahren "international hochgearbeitet". Vor rund zehn Jahren hat sich der Schmuckdesigner vom Autorenschmuck ab- und der Mode und damit einem breiteren Publikum zugewandt: "Die Schmuckkunstszene habe ich damals als sehr in sich gekehrt wahrgenommen." Ladstätter will seinen Schmuck auf keinen Sockel stellen: "Ich habe für mich geklärt, dass ich es für blödsinnig halte, mit Schmuck der Kunst hinterherzulaufen. Es ist doch toll, wenn Schmuck Teil des menschlichen Alltags wird." Der Schmuckdesigner arbeitet mit einer Assistentin in seinem Atelier in Wiens erstem Bezirk – in Wien sind seine Schmuckstücke in der Boutique "Nachbarin" in der Gumpendorfer Straße erhältlich. Seit Ladstätter sich über Londoner Magazine wie i-D international einen Namen gemacht hat, arbeitet der Designer "im Hamsterrad der Kollektionen" und verkauft überall auf der Welt – mit Schwerpunkt Japan. Einer seiner wichtigsten Abnehmer ist der Concept-Store "Dover Street Market" in Tokio.

Warum seine Kunststoff-, Glas- und Holzperlen, seine selbstgegossenen und gefrästen Stücke ausgerechnet in Japan so gut ankommen? Das habe mit seinen Farbkombinationen und Materialqualitäten zu tun. Die Japaner hätten außerdem ein besonderes Gespür für Qualität. "Die wollen keinen Trash", erklärt der Schmuckdesigner. Sagt's und schiebt gleich seine Lieblingsanekdote hinterher. "Ich hatte einmal einige Japaner in meinem Showroom zu Gast, die haben jedes einzelne meiner 150 Musterstücke angefasst." So etwas würde ihm mit den Amerikanern nie passieren. Denen gehe es darum, welche Celebrity ein Schmuckstück trägt. Wie gut, dass Ladstätter seine Nische gefunden hat – mitten in Wien.

Florian Ladstätter hat sich auf die unkonventionelle Verarbeitung von Perlen spezialisiert.
Foto: Florian Design

(Anne Feldkamp, RONDO Exklusiv, 7.12.2016)