Bild nicht mehr verfügbar.

2015 kam es in Mazedonien zu teils gewalttätigen Protesten gegen die Regierung.

Foto: REUTERS/Marko Djurica
Grafik: APA

D-Day auf dem Balkan. Jedes Jahr im Herbst warten alle auf die Noten aus Brüssel. Sorgenkind Nummer eins, Mazedonien, das wegen zahlreicher, auch gewalttätiger Eskalationen 2015 fast in die Luft ging, wird genau unter die Lupe genommen.

In keinem anderen Land in der Region hat sich die EU-Kommission, allen voran Erweiterungskommissar Johannes Hahn, in den vergangenen Monaten derart engagiert. Mazedonien drohte komplett in ein autoritäres Regime abzugleiten. Monatelange Verhandlungen und Feuerlöschaktionen waren notwendig, um einen Demokratisierungsprozess einzuleiten. Allerdings ist das Land in einem nach wie vor kritischen Zustand. Die Regierungsparteien haben den Staat in den letzten Jahren unter ihre Kontrolle gebracht.

Strenge Zensuren

Der Fortschrittsbericht vom Mittwoch ist dementsprechend streng, die Kommission weist darauf hin, dass bei der öffentlichen Verwaltung ihre Empfehlungen nicht umgesetzt wurden. "Die Verwendung des öffentlichen Sektors als politisches Instrument, Vorwürfe, dass auf öffentlich Bedienstete Druck ausgeübt wird, und die mutmaßliche Politisierung der Verwaltung in einem Wahljahr bleiben Anlass zur Sorge", schreibt die Kommission. Die Wahl findet am 11. Dezember statt. Es ist anzunehmen, dass die nationalkonservative VMRO-DPMNE, die seit 2006 an der Macht ist, wieder gewinnen wird. Ziel ist aber, dass die Wahl nun frei und fair abgehalten werden kann.

Die Kommission weist auch darauf hin, dass sich die Situation im Justizsystem seit 2014 rückwärts entwickelt hat – Errungenschaften seien durch politische Einflussnahmen unterminiert worden. Die Kommission unterstreicht, dass es an politischen Willen fehle, die "dringenden Reformmaßnahmen" umzusetzen. Die Behinderung der Sonderstaatsanwaltschaft – die nur unter massivem Druck der USA und der EU zustande kam – zeige, dass man den "Mangel an Unabhängigkeit der Justiz" in Angriff nehmen müsse.

Flüchtlinge besser behandeln

Erwähnt wird zudem, dass "verletzliche Gruppen" wie Migranten und Flüchtlinge besser behandelt werden müssten. Nachdem die Balkanroute im Juni 2015 durch Gesetzesänderungen in Mazedonien geöffnet worden war und dadurch die Massenzuwanderung Richtung Norden begann, gab es zahlreiche Berichte über Misshandlungen der Flüchtlinge durch Sicherheitskräfte. Lobend erwähnt wird aber die Kooperation mit den Nachbarstaaten und den EU-Mitgliedsstaaten in der Flüchtlingskrise. Durch die Schließung der Balkanroute im März diesen Jahres an der griechisch-mazedonischen Grenze wurde die Massenzuwanderung effektiv und drastisch reduziert.

Lapidares Urteil zu Bosnien

Im politisch ebenfalls instabilen Bosnien-Herzegowina vermeidet die Kommission jegliche Stellungnahme zur Krise durch die sezessionistischen Avancen der Republika Srpska. Wenn man die politischen Akteure nicht beeinflussen kann, schweigt man sie offenbar lieber tot. Allerdings ist das Urteil zu den "technischen Fragen" umso härter. Bosnien-Herzegowina sei in einer "frühen Stadium der Reform der öffentlichen Verwaltung", heißt es lapidar. Die Kommission moniert sogar, dass durch Gesetzesänderungen im Landesteil Föderation ein größeres Risiko der Politisierung entstanden sei. Eine Harmonisierung zwischen den verschiedenen Teilen der überbordenden Administration fehle großteils. Politisch motivierte Drohungen gegenüber der Justiz gingen weiter.

Erwähnt wird auch, dass Bosnien-Herzegowina noch internationale Standards erreichen müsse, im Kampf gegen die Finanzierung von Terrorismus. "Bosnien und Herzegowina ist ernsthaft betroffen vom Phänomen der ausländischen terroristischen Kämpfer und der Radikalisierung." Weitere Schritte müssten unternommen werden, um zu verhindern, dass Leute in den Irak oder nach Syrien gingen. In den letzten Jahren gingen etwa 150 Islamisten aus dem Balkan-Staat zu diversen Terror-Gruppen.

Ökonomisch betrachtet ist das Urteil noch härter. Die Kommission spricht sehr realitätsnah von einem "frühen Stadium in der Entwicklung einer funktionierenden Marktwirtschaft". Der öffentliche Sektor sei ineffizient. Es gäbe keinerlei Fortschritt dabei, die Wettbewerbsfähigkeit des Landes zu verbessern.

Rüge für Kosovo

Auch im Fall des Kosovo wird die Politisierung der Institutionen gerügt, insbesondere der Druck der Politik auf die Justiz. Gelobt wird der Fortschritt bei der Gesetzgebung für Menschenrechte, etwa dem Schutz für Angehörige der LGTB-Minderheiten. In den vergangenen Monaten war es durch den Boykott der Opposition zu politischem Stillstand gekommen. Auch die Normalisierung der Beziehungen zu Serbien hat darunter gelitten – im vergangenen Jahr gab es kaum Fortschritte. Kritisiert werden auch die Zahlungen an Kriegsveteranen – diese werden in allen Staaten Ex-Jugoslawiens hofiert. Im Kosovo habe dies die makroökonomische Stabilität negativ beeinflusst, warnt die Kommission vor Populismus.

Musterschüler Serbien

Am weitaus positivsten fallen die Noten zu Serbien aus – das hat auch damit zu tun, dass sowohl die EU-Kommission, als auch Deutschland, Serbien als den zentralen Partner in der Region ansehen. Die Kommission lobt die Vorbereitungen in allen möglichen Politikfeldern im Rahmen der Beitrittsverhandlungen zwischen Serbien und der EU. Aber besonders positiv werden die Versuche, die wechselseitigen Beziehungen zu den Nachbarstaaten versöhnlich zu gestalten, hervorgehoben. Tatsächlich hat Serbien seit dem Amtsantritt von Aleksandar Vučić gegenüber den Nachbarstaaten einen konstruktiven Weg eingeschlagen. Die Kommission spricht von einem "Geist der Versöhnung". Moniert wird nur, dass Serbien seine Außen- und Sicherheitspolitik an die EU-Politik anpassen müsse – gemeint ist die Haltung zu Russland. Serbien hat sich keinen Sanktionen angeschlossen. Wer die Situation in Serbien kennt, weiß allerdings wie viel Anlass es zur Sorge gibt, weil die Regierung zunehmend die Öffentlichkeit kontrolliert.

In Montenegro, das seit 2013 mit der EU verhandelt, wird positiv angemerkt, dass die Gesetze, die zu mehr Rechtsstaatlichkeit führen sollten, verabschiedet wurden. Die Kommission weist darauf hin, dass die Geschwindigkeit auf dem Weg zum Beitritt davon abhänge,welche Resultate erzielt würden. Bezüglich der Wahlen, die am 16. Oktober stattfanden, fordert die Kommission, dass die Verhaftungen von angeblichen Terroristen und die Sperre der Mobiltelefonnetze untersucht werden müsse. Die montenegrinische Justiz und Regierungspartei DPS haben sich – wohl mit Hilfe verschiedener Geheimdienste- in den letzten Wochen in Verschwörungstheorien über angebliche Putschversuche verstrickt.

Jeder, der das Land kennt, weiß wie intransparent und gesteuert das System ist. Die Kommission kritisiert die Attacken gegen Journalisten, aber auch die hohen Schulden und das Budgetdefizit. Positiv wird die Angleichung der Gesetzgebung an EU-Gesetze hervorgehoben und auch, dass Montenegro sich der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU angeschlossen hat. Der winzige Staat mit 625.000 Einwohnern, der in ein paar Monaten der Nato beitreten wird, unterstützt die Sanktionen gegen Russland, was einige Russen in Montenegro veranlasst hat, das Land zu verlassen.

Liebling Albanien

So etwas wie Brüssels zweiter Liebling, neben Serbien, ist Albanien, also jener Staat auf dem Balkan, der nicht am ethnonationalen Wahnsinn der 1990er-Jahre laboriert, weil er ganz einfach nie Teil von Jugoslawien war. Wer Albanien kennt, weiß wie entspannend das im Vergleich zu den anderen wirkt. Wie erwartet, werden die Verfassungsänderungen für die Justizreform gelobt, allerdings moniert die Kommission, dass es noch kaum Verurteilungen gegen das Organisierte Verbrechen gibt. Gefordert wird auch in Albanien eine transparentere Einstellungspraxis in der öffentlichen Verwaltung und Reformen in derselben. Positiv erwähnt wird auch, dass die sozialistische Regierung unter Edi Rama einige Cannabis-Plantagen im Süden zerstört hat. Auch in wirtschaftlicher Hinsicht fällt das Urteil zu Albanien viel milder aus – gelobt wird etwa, dass das illegale Anzapfen von Strom unterbunden wurde. Kritisiert wird aber, dass noch immer albanische Staatsbürger in der EU um Asyl ansuchen. Der EU-Fortschrittsbericht ist in diesem Sinn auch ziemlich auf die EU-Bedürfnisse fokussiert. (Adelheid Wölfl, 9.11.2016)