Scharfsinniger Beobachter: Lothar Knessl bei Wien Modern.


Foto: Heribert Corn

Wien – Für Generationen von Musikhörern war er immer schon da – und ist es in seinem 90. Lebensjahr mit der ihm eigenen geistigen Souveränität, launigen Frische und scharfsinnigen Wachheit noch immer: Lothar Knessl, Vermittler Neuer Musik, Autor, Komponist und Kurator. Seine Funktionen nennt – in dieser Reihenfolge – eine Ausstellung, die das Institut für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung an der Musikuniversität Wien im Rahmen von Wien Modern zeigt. Denn im Institutsarchiv liegt seit kurzem der Vorlass des 1927 in Brünn Geborenen, der seit 1947 in Wien lebt.

Die Dokumente, die dort aufgearbeitet und derzeit in einer kleinen, höchst aussagekräftigen Auswahl im Foyer des Konzerthauses gezeigt werden, gehen mehr in die Tiefe als das, was der Öffentlichkeit bisher über Lothar Knessl bekannt war. So sind seine Kompositionen breit gewürdigt, die in der Kriegsgefangenschaft auf den Rückseiten von Rechnungsseiten notierte Schülerübungen ebenso umfassen wie serielle Entwürfe, aber auch Chansons.

Seine Kritiken, die er ab 1960 schrieb, verraten aus der zeitlichen Distanz nicht nur einen stets pointierten Umgang mit unterschiedlichen musikalischen Phänomenen, sondern ebenso eine Urteilskraft, die sich mit dem seither entstandenen historischen Bild erstaunlich oft deckt. Knessls Radiosendungen, die er neben seiner Tätigkeit bei der Wiener Staatsoper und in anderen Funktionen zwischen 1967 und 2011 regelmäßig gestaltete, sind ohnedies legendär.

Nicht zuletzt war Knessl bei der Gründung von Wien Modern 1988 entscheidend beteiligt. Er ist eben nicht nur Vermittler, Autor, Komponist und Kurator, sondern hat als Weichensteller die Neue-Musik-Landschaft dieses Landes nach dem Zweiten Weltkrieg mitgeprägt wie kein anderer. (Daniel Ender, 9.11.2016)