Wien – Das Material ist eigentlich sekundär. Schön zwar, wenn Neues gefunden wird und sich in frischen Komponiersystemen wiederfindet. Es zeigt sich jedoch immer wieder, dass letztlich die Gestaltung des Materials (wie neu oder alt, wie spröde oder zugänglich dieses auch immer zu sein scheint) als jene Disziplin gelten kann, die über das Gelingen eines Werkes entscheidet. In groben Zügen (2014), ein Stück von Eva Reiter, das bei Wien Modern im Mozartsaal des Konzerthauses von einem Streichquartett des Klangforums so impulsiv wie subtil umgesetzt wurde, ist einfach ein charmant geräuschaffines Energiefeld. Dessen Reflexe und inneren Einzelbebungen zeugen von feinem Gespür für Dramaturgie, Spannungsaufbau und das Aufrechterhalten von Intensität.

Reiter, diesjährige Inhaberin des Erste Bank Kompositionspreises, hat mit In groben Zügen ein kurzes Stück voller Drive entworfen, das in seiner drängenden Anlage ruppig dahinzuspringen scheint und wie ein durch vier Instrumente dekonstruiertes harsches E-Gitarren-Solo klingt, das in Reiters Alle Verbindungen gelten nur jetzt (2008) dann schließlich auch tatsächlich Teil der kollektiven Wucherungen wird. Auch hier übrigens innere Kompaktheit und klangliche Sinnlichkeit, wie bei Reiters Noch sind wir ein Wort ... für Kontrabassblockflöte, Kontrabass und Musikerchor (2016). Es präsentiert ein Kollektiv, das sich auch mithilfe von unterschiedlich langen Sprachrohren fantasiesprachlich austobt. Auch hier ein ganz eigener Ausdruckskosmos.

Ein solcher fasziniert auch bei Friedrich Cerhas Relazioni fragili (1956-1957), aber in eher verinnerlichter Form. Besonders Introspektives dann zum Schluss: Eva Reiter organisiert die finale Version (1989) von John Cages stillem Stück 4'33. Durch ein spezielles System werden die Schwingungen des Saales in Töne umgesetzt.

Eher mediativ ist das Ergebnis, Reiter beendet ihre Version nach acht Minuten und damit ein Konzert der ungewöhnlichen Art. (Ljubisa Tosic, 10.11.2016)