Wien – Es ist vielleicht das spektakulärste Projekt dieser Ausgabe von Wien Modern: die Aufführung aller 15 Streichquartette von Dmitri Schostakowitsch im Großen Saal des Konzerthauses, und zwar gleichzeitig. Also fast gleichzeitig: Der Zeitpunkt des Beginns und die Länge der Pausen zwischen den Sätzen waren in dieser "räumlich und zeitlich abgestimmten Simultanaufführung" für jedes der 15 Streichensembles unterschiedlich festgelegt.

Und so ergab das Zusammenspiel der Quartette, die im Parterre, auf dem Balkon, auf der Bühne und dem Orgelbalkon platziert waren, ein opulentes Opus magnum, eine 90-minütige Folge von Verdichtungen und Lichtungen. Das Arditti Quartett begann mit dem elegischen ersten Satz des letzten Streichquartetts, es folgte das Ensemble Resonanz mit dem Kopfsatz des achten.

Ein Kokon aus zarten Klängen mutierte mit dem Einsatz der restlichen Ensembles zur wüsten Kakofonie, aus der sich nur die rhythmisch prägnantesten und dynamisch potentesten Motive bemerkbar machten. Es herrschten Gesetze des Pausenhofs: Wer am lautesten schreit, wird gehört. Wanderungen im Parterre brachten wenig; doch wer auf die Ebene des Balkons wechselte, wurde verzaubert von sachten Überblendungen und sich ver- und entwirrenden Tonknäueln. Ein besonderes Gesamtkunstwerk.

Unter den Schostakowitsch-Flaneuren befand sich am Freitag auch Georg Friedrich Haas; am Abend darauf wurden an selber Stelle sein Werk Hyena sowie sein neuntes Streichquartett uraufgeführt. Haas wurde erst vor kurzem von der Süddeutschen zu "Österreichs derzeit führendem Komponisten" ausgerufen, mit der Zeit sprach der in New York Lebende vor einem Monat ausführlich über Dämonen, die lange Jahre seines Lebens in ihm wüteten.

Dunkle Mächte

Hyena, ein Werk für Sprecherin und Kammerorchester, beschäftigt sich jedoch mit den dunklen Mächten, mit denen Haas' Ehefrau zu kämpfen hatte. Mollena Lee Williams-Haas erzählt in ihrem Text von ihrer Alkoholabhängigkeit, vom Absturz, vom Entzug und der Rückkehr ins normale Leben. Immer dabei: die titelgebende Hyäne, eine Zuflüsterin, die sie zur Rückkehr zum Alkohol überreden will und ihr die Hoffnung auf ein neues Leben zu rauben versucht.

Haas illustriert die inneren Dämonen vorrangig mit flirrenden, zitternden, wispernden Klängen, die das Klangforum Wien unter Bas Wiegers in virtuoser Filigranität entstehen ließ.

Dann Haas' neuntes Streichquartett: Das JACK Quartet betörte im abgedunkelten Großen Saal mit subtilen Metamorphosen von Obertonreihen, die an ein zärtliches Alphornblasen für Streichensemble erinnerten. Ruhige Septakkordflächen erfüllten den eindrucksvollen Raum des großen Saals, mikrotonale Verschiebungen mündeten in gleißende Klangfelder von sakraler Reinheit. Begeisterung beim Publikum. (Stefan Ender, 13.11.2016)