Was hat die Wiener Ringstraße mit der gar nicht prunkigen Breitenfurter Straße im 23. Bezirk gemeinsam? Auf den ersten Blick gar nichts. Auf den zweiten jede Menge, zumindest im Haus mit der Nummer 348. Gegenüber einem typischen Vorstadt-Bräunungsstudio ist die Wiener Stuckmanufaktur untergebracht. Straßenseitig macht das niedrige, senfgelbe Haus nicht viel her. Aus einem Schaukasten in der Fassade prostet einem ein Bacchus aus Gips zu. Umrankt ist er von Weinblättern aus Plastik. Der göttliche Tschecherant hatte schon lukullischere Auftritte.

Geht man durch das Tor, sieht die Sache anders aus. Auf der einen Seite liegt ein zauberhaftes, leicht heruntergekommenes hölzernes Gebäude. Es gleicht einer Scheune und ist von herbstrotem, wildem und dieses Mal echtem Wein bedeckt. Auf der anderen Seite des Hofes sind die Büro- und Verkaufsräume der Stuckmanufaktur untergebracht. "Das alte Holzgebäude war früher ein Fuhrwerkshaus. Heute lagern dort auf 1200 Quadratmetern an die 1300 Stuckobjekte. 60 Prozent sind für Innenräume bestimmt, der Rest für Fassaden", erzählt Christa Lampl, die seit 14 Jahren das Büro der Manufaktur leitet. Insgesamt zählt der Handwerksbetrieb sechs Mitarbeiter.

1.300 Stuckobjekte gibt es in der Wiener Stuckmanufaktur zu kaufen.
Foto: Josef Bollwein / Flash Face

In den 14 Jahren hat Frau Lampl viel gelernt. Jeden Artikel will sie kennen. Den Test besteht sie. "Korinthisches Kapitell, auch 18er-Säule genannt", sagt sie, als man auf einen Säulenteil zeigt, der zwischen Rosetten, Wandschalen und Pilastern an der Wand pickt. An die Decke gehen kann man hier mit vielen Ornamenten. Sogar die Artikelnummer kennt sie: "SK 0018-K". "Das ist gar nichts, Sie sollten einmal unseren Lagerarbeiter prüfen. Den hätten wir zu 'Wetten, dass ..?' schicken sollen, als es die Sendung noch gab", stapelt sie tief.

Stube Caligula

250 Quadratmeter umfassen die Verkaufsräume, aufgeteilt auf acht Räume, jeder in einem anderen Farbton gehalten, zwischen Pastellgelb und Knallrot, allesamt vollgepfropft mit Stuckteilen. Allesamt Setzkästen in Sachen Stuck. Ein beeindruckendes Ersatzteillager für Ringstraßen-Schnickschnack-Dekor und Stuck-Nippes für eine Villa, wie man sich die vom künftigen amerikanischen Präsidenten vorstellt. Auch das Innere gewisser rotlichtiger Etablissements könnte man sich so ausmalen, vielleicht mit dem passenden Namen "Gemach Caligula". Dazu passt auch der Teufelskopf aus Gips, der über einer Kaminverkleidung hängt. Den Teufel braucht's. "Schließlich heißt der Chef Herr Teufl", erzählt Christa Lampl bestimmt nicht zum ersten Mal. Kurt Teufl hat das 1975 gegründete Unternehmen im Jahre 2002 übernommen.

Man täte dem Haus allerdings Unrecht, es als Kitsch-Shoppingcenter abzutun. Und wer es mit dem Stuck nicht so hat, der ist in Wien sowieso fehl am Platz. In der Manufaktur, gleich um die Ecke vom Liesinger Bahnhof, ist auch Staunen erlaubt. Es geht an diesem Ort nicht nur um Akanthusblatt und gefakte Marmorbuben.

Foto: Josef Bollwein / Flash Face

Die Menge macht das Gift

Hier stellt sich auch die Frage, wie viel Schein das Sein verträgt und wie unglaublich vielfältig diesem Schein über ganze Epochen Ausdruck gegeben wurde. Außerdem vergesse man nicht die Worte Kurt Tucholskys, der sagte, Kitsch sei das Echo der Kunst. Hier kann man das Echo der Kunstgeschichte hören. Es klingt amüsant und durchaus unterhaltsam. Auch für Stuck gilt: Die Menge macht das Gift.

In Zeiten, in denen man Tapeten, Handgetöpfertem, Marmor, Kupfer und anderen älteren Interieursemestern die Tür immer weiter öffnet, kann auch das eine oder andere Stuckstück dezent angebracht durchaus passende und willkommene Akzente setzen.

"Vor allem im Beleuchtungsbereich, speziell bei indirekter Beleuchtung, spielt Stuck eine immer größere Rolle, da LED-Leuchten wenig Platz benötigen und sich gut hinter Gesimsen integrieren lassen", erklärt Teufl in seinem Büro. "Außerdem sind Kunden heute flexibler, können sich mehr vorstellen und scheuen sich weniger, Modernes mit Stuck zu verbinden", sagt er weiter.

Auf seine Kenntnisse in Sachen Kunstgeschichte angesprochen, meint er, es nicht mit einem Kunsthistoriker aufnehmen zu wollen. "Schauen Sie, ich bin gelernter Bautechniker. Ob das eine Blatterl jetzt nach links oder rechts gedreht wird, ist mir relativ egal." Bei den Epochen wie Barock, Rokoko, Klassizismus und Historismus kennt er sich allerdings aus. Den Jugendstil zählt er zu seinen Favoriten.

Schauraum in der Breitenfurter Straße.
Foto: Josef Bollwein / Flash Face

Zuckerbäckerei

Beim Innenraumstuck hier in Liesing handelt es sich um einen Alabastergips, einen Naturgips aus Deutschland. Dieser wird gebrannt und gemahlen in 40-Kilo-Säcken in die Produktion der Manufaktur geliefert. Die ist auf 500 Quadratmetern in der Perfektastraße untergebracht, ebenfalls im 23. Bezirk. Seine Form bekommt der Stuck durch das Gießen in Silikonformen, die das Unternehmen selbst anfertigt. Längere, dünne Teile wie Gesimse werden gezogen, das heißt, der Gips kommt durch Schablonen zu seinem Äußeren. Sind diese Schritte abgeschlossen, trocknet das Material bei 45 Grad in einer Trockenkammer aus.

Schaut man den zwei Arbeitern in der Produktion über die Schulter, erinnert deren liebevolle Arbeit eher an das Werken in einer Konditorei als an die Produktion von Baumaterialien. Hier ein geschwungenes Baiser, dort ein schneeweißer Engel, der aussieht, als bestünde er aus gehärtetem Staubzucker.

Gehandelt wird längst auch online, sagt Christa Lampl. "Es ist keine Hexerei, Stuck anzubringen. Wenn ihn nicht der Maler oder Stuckateur montiert, kann man dies zumindest bei kleineren Stücken selbst machen. Sofern man nicht über zwei linke Hände verfügt." Der Stuck wird entweder angeklebt oder angeschraubt, Fugen einfach verspachtelt.

Foto: Josef Bollwein / Flash Face

Aufwertung und Kontrast

Auf die Frage nach der Kundschaft sagt Teufl: "Der soziale Wohnbau ist eher weniger unser Einsatzgebiet, das dürfte sich von selbst verstehen." Am Computer geplant, produziert und geliefert hat Teufl unter anderem für diverse Innenstadtwohnungen, aber auch für das Palais Coburg, das Sacher, das Hotel Imperial, das Park Hyatt oder das Kaufhaus Kastner & Öhler. "Nicht zu vergessen auf die Russen, die haben gar nicht genug Stuck in ihre Wohnungen hängen können, unglaublich!", schwärmt Teufl. Doch das Geschäft mit den Russen habe nachgelassen. Dafür gebe es immer mehr Leute, die Stuck nicht nur so wie früher als Zeichen der Aufwertung, sondern auch als Dekoration begreifen, als Kontrast zu den stärker werdenden Farben im Wohnbereich, sagt Teufl, ohne den Hinweis zu vergessen, dass auch das Gewerbe wie Malereibetriebe oder Stuckateure zu seiner Kundschaft zählen.

"Manche", sagt Christa Lampl, "kommen auch einfach nur aus Neugierde zu uns in den Schauraum." Die Neugierde zahlt sich aus. (Michael Hausenblas, RONDO, 15.12.2016)