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Donald Trump hat die Präsidentschaftswahl in den USA gewonnen. Das Rennen ums Weiße Haus machte er auch mit Sprüchen, die an Trolle erinnern.

Foto: REUTERS/Jonathan Ernst

Im Aufruf für das Grünbuch "Digitale Courage" erwähnt Bundesratspräsident Mario Lindner eine Titelseite des "Time Magazine". "Why we‘re losing the Internet to the culture of hate" steht da in schwarzen Lettern auf weißem Hintergrund. Im unteren, rechten Eck sitzt ein Troll, der auf einen Bildschirm starrt und bereit ist zu tun, was Trolle im Internet nun mal tun – schimpfen, provozieren, pöbeln. Trolle, im echten Leben mitunter ganz normale Leute, würden Social Media und Kommentarforen "in einen riesigen Umkleideraum in einem Teenagerfilm" verwandeln, schreibt "Time"-Journalist Joel Stein im August 2016. Wer den Satz im Oktober 2016 liest, denkt unweigerlich an die US-Politik und an Donald Trump, noch bevor dem republikanischen Präsidentschaftskandidaten im "Time"-Text Trolling-Fähigkeiten zugeschrieben werden. Trump brachte ein heimlich aufgezeichnetes Video in Bedrängnis, in dem er sich mit sexuellen Übergriffen auf Frauen brüstete. Die Äußerungen spielt er mit "Umkleidekabinen-Gerede" ("locker room talk") herunter. Für den Neo-Politiker – und mittlerweile President-Elect – scheinbar ein sicherer Raum.

Courage im "echten Leben"

Der Autor und Netzaktivist Sascha Lobo sieht bei Trumps Fans "latente bis völlig offene Misogynie" als "ein, wenn nicht das wesentliche Identifikationsmerkmal". Trump selbst ist Verschwörungstheorien nicht abgeneigt, verdreht Fakten. Das kennt man auch in Onlineforen. Wenn wir uns also fragen, ob man das Internet an die Hasskultur verliert, dann muss man auch fragen, wie es um die Gesellschaft steht. Wer "Digitale Courage" etablieren, stärken oder fördern möchte, muss damit im analogen, im "echten Leben" anfangen – und das möglichst früh. Der Bildungsbereich kann dabei eine wesentliche Rolle spielen.

Medienkompetenz erlernen

"Digital Natives" wachsen zwar mit digitalen Medien auf, das bedeutet aber nicht automatisch, dass diese auch über solche Kompetenzen verfügen. Kinder und Jugendliche müssen Medienkompetenz bereits früh erwerben können, und zwar auch, wenn sie aus einem Elternhaus kommen, das nicht medienkompetent ist. Die Schule wäre der richtige Ort, um einen selbstbestimmten und gleichsam kritischen Umgang zu erlernen – und zu lehren. Nicht bloß als Unterrichtsprinzip, das, womöglich abhängig von Schule oder Wissen und Interessen der Lehrenden nur sporadisch vermittelt wird, vielmehr erscheint ein eigenes Unterrichtsfach durchaus sinnvoll.

Perspektive wechseln

Was bedeutet es, wenn das, was man im Privaten kurz ausspricht, für eine Öffentlichkeit weltweit abrufbar und dokumentiert ist? Was ist Meinungsfreiheit, wann beschneidet die Freiheit des einen die Würde und Freiheit des anderen? Lebhafte, vielfältige Debatten zu führen, das ist nicht nur eine Kunst, sondern auch Handwerk. Die Technik der "konstruktiven Kontroverse" erwähnt etwa der britische Historiker Timothy Garton Ash in seinem aktuellen Buch "Redefreiheit – Prinzipien für eine vernetzte Welt". Englische Schulen "lassen Schüler ihre Position zu einem heiklen Thema wie Rasse, Religion oder Todesstrafe begründen und mit Beweismaterial untermauern. Dann müssen sie die Seiten wechseln und so gut wie möglich eine gegensätzliche Ansicht begründen und belegen", beschreibt der Autor ein Verfahren, das gegenseitiges Verstehen durch Perspektivenwechsel fördert. Nicht die Proklamation sozialer Harmonie bereite Schüler auf ein Leben mit Vielfalt vor, man müsse vielmehr darüber sprechen, merkt Ash weiters an.

Konstruktive Debatten stärken

Folgt man Ash, dann kann man konstruktiven Diskurs nicht fördern, indem man ihn proklamiert, man muss darüber sprechen und sich an Kontroversen beteiligen. Demnach müssten auch Politiker in Social Media Präsenz zeigen und auf Augenhöhe an Diskussionen und Debatten teilnehmen. Sie könnten sich durch Gesten, Positionierungen und öffentliche Erklärungen für einen respektvollen Umgang einsetzen, auch wenn dies vielleicht bedeuten würde, gegen die Vorurteile der eigenen Wähler (egal welcher Partei) Stellung zu nehmen. Motto: Haltung statt Anstacheln.

Über menschenverachtende Postings voller Hass und Zynismus in sozialen Netzwerken wird zurecht diskutiert und in Medien berichtet. Konstruktive Debatten, die online geführt werden, erhalten diese Aufmerksamkeit hingegen nur selten. Auch diese Wertschätzung würde dazu beitragen, den konstruktiven, digitalen Diskurs zu stärken. Aufgabe der Medien ist es heute deshalb auch, geistreiche Onlinedebatten aufzugreifen. Denn auch Berichterstattung macht Mut. (Sabine Bürger, 15.11.2016)