Es lag in der Berliner Luft. Niemand, der deutsche Politik gestaltet oder ernsthaft verfolgt, hatte angenommen, dass Angela Merkel auf eine vierte Amtszeit verzichten könnte und stattdessen 2017 abtritt. "Ich mache Politik" – so hat sie einmal ihren Auftrag und ihren Arbeitsstil beschrieben. Offenbar ist dieser Auftrag noch nicht vollendet.

Das zeigt, deutlicher als andere Politikfelder, die Flüchtlingskrise. Merkel war es, die die vielen Menschen, gegen massive Widerstände, nach Deutschland kommen ließ. Jetzt abzutreten hieße, andere die weitreichenden Folgen – von Integration bis zur Sicherheit – aufarbeiten zu lassen. Dieser Weg widerspricht dem preußischen Pflichtgefühl der Kanzlerin.

Doch es gibt auch deutlich weniger noble Gründe, warum Merkel noch einmal ins Rennen geht: Die CDU hat schlicht und einfach keine(n) Nachfolger(in) für sie. Merkel hatte schon immer einen ausgeprägten Willen zum Durchhalten, sonst wäre sie in der CDU nie so weit gekommen. Und im Laufe der Jahre zementierte sie ihre Macht so fest, dass sie glatt vergaß, für Nachwuchs zu sorgen.

Vor einigen Monaten noch war Merkels Popularität so niedrig, dass es in der Union ernsthafte Überlegungen gab, ob CDU und CSU 2017 tatsächlich eine vierte Kandidatur Merkels zuzumuten wäre. Doch auch viele Skeptiker denken mittlerweile wieder anders – nicht alleine, weil sie meinen, Merkels Strahlkraft werde wohl wieder größer werden.

Schon die Brexit-Entscheidung bedeutete einen harten Schlag für alle, die immer noch an Europa glauben. Noch viel einschneidender war der Wahlsieg von Donald Trump in den USA. Werte, die jahrzehntelang als unverbrüchlich galten, werden derzeit hinweggefegt. Plötzlich war die Frage von Merkels Kandidatur in der CDU keine der Abwägung, sondern der Notwendigkeit.

Sie, der man so oft und so lange nachgesagt hat, sie stehe eigentlich für nichts und ändere ihre Positionen, wie es gerade opportun ist, gilt nun vielen im In- und Ausland als wichtigste Führungsperson, als "letzte Verteidigerin des liberalen Westens", wie die New York Times schrieb.

Allerdings resultiert Merkels vermeintliche Stärke auch aus der Schwäche anderer "Großer" in Europa. Theresa May ist in Großbritannien mit dem Brexit beschäftigt, François Hollande – unbeliebt wie nie zuvor – blickt ängstlich der Präsidentenwahl und der Bedrohung durch den Front National im Frühjahr entgegen.

Apropos: Der vierte Wahlkampf Merkels wird anders als die ersten drei. Zum ersten Mal gibt es eine ernstzunehmende rechtspopulistische Opposition, nämlich die AfD. Diese dürfte sich über Merkels Entscheidung freuen, ist die Kanzlerin doch ihr Feindbild Nummer eins. Ob Merkel tatsächlich zum vierten Mal die Schlüssel des Bundeskanzleramts bekommt, wird auch davon abhängen, ob es ihr gelingt, die vielen Frustrierten zu überzeugen, die es zur AfD zieht.

Nicht zu vergessen ist SPD-Chef Sigmar Gabriel. Der packt es nicht, lautete lange das Urteil über ihn. Doch nun hat er mit der Nominierung von Frank-Walter Steinmeier (SPD) zum Kandidaten für die Präsidentenwahl gezeigt, dass er für Überraschungen gut ist. Vielleicht zählt dazu doch noch ein linkes Bündnis. Ein vierter Sieg Merkels ist somit noch lange nicht fix, bis zur Wahl sind es noch zehn Monate. Immerhin aber herrscht endlich Klarheit, wer die Reiseleiterin ist. (Birgit Baumann, 20.11.2016)