STANDARD: Im Internet kursiert derzeit ein Video, laut dem Sie gerade entführt worden sind. Als Hofburgkandidat in Österreich braucht man wohl schon einen ähnlich guten Magen wie für den US-Wahlkampf?

Van der Bellen: Wie Sie sehen, befinde ich mich – anders als von so einem Scherzkeks behauptet – keineswegs in den Händen von Entführern. Und was den US-Wahlkampf betrifft: Von derart schlimmen Untergriffen, wie sich das Donald Trump gegenüber Hillary Clinton erlaubt hat, sind wir noch weit entfernt.

"Der Hitler-Vergleich ist nicht nur boshaft, er bedeutet auch eine Verniedlichung des Hitlerismus": Van der Bellen zu Vorwürfen gegen seine Plakate.
Foto: Cremer

STANDARD: Dennoch, was schmerzt mehr: dass Ihnen von Norbert Hofers Sympathisanten nachgesagt wird, innen drin ein Kommunist zu sein – oder dass Ihnen jetzt auch noch unterstellt wird, mit Adolf Hitlers Ästhetik auf Stimmenfang zu gehen, weil Sie auf einem Plakat wie einst der Führer mit Berg und Hund zu sehen sind?

Van der Bellen: Beide Vorwürfe sind einfach absurd – und deswegen sehe ich das mit einem gewissen Galgenhumor. Ja, ich habe ein einziges Mal, als junger Mann mit 21 Jahren, bei einer Gemeinderatswahl aus Zorn KPÖ gewählt, weil diese damals als einzige Oppositionspartei zur Auswahl stand. Mir daraus 50 Jahre danach einen Vorwurf zu machen ist grotesk. Meine Eltern mussten dreimal vor der Roten Armee und den Kommunisten fliehen. Was die andere Sache betrifft: Der Hitler-Vergleich ist nicht nur boshaft, er bedeutet auch eine Verniedlichung des Hitlerismus und des Nationalsozialismus.

STANDARD: Mittlerweile werden auch Ihre verstorbenen Eltern in den Wahlkampf hineingezogen. Haben die jemals mit dem NS-Regime sympathisiert?

Van der Bellen: Erstens: Meine Eltern waren keine Nazis. Zweitens: Mein Vater ist seit 50 Jahren, meine Mutter seit 20 Jahren tot. Sie können sich gegen diesen Rufmord nicht mehr wehren. Und drittens: Ist Sippenhaftung jetzt ein Teil des Rechtsprinzips in der FPÖ? Dieser Stil von FPÖ-Politikerin Ursula Stenzel – zuerst haltlose Unterstellungen gegen meine Familie in den Raum zu stellen und dann herumzulavieren – ist nicht nur geschmacklos, er richtet sich von selbst.

STANDARD: Für einen Sieg am 4. Dezember brauchen Sie Wähler, die beim letzten Mal vielleicht nicht für Sie gestimmt haben. Nachdem sich nun ein ÖVP-Politiker nach dem anderen zu Ihnen bekennt: Freut Sie das – oder ist es dafür nicht reichlich spät?

Van der Bellen: Es ist nie zu spät – solange das Ganze vor dem 4. Dezember geschieht. Wenn etwa ein ÖVP-Bürgermeister seine Meinung kundtut, bleibt das in seiner Gemeinde wohl nicht ganz ohne Wirkung.

STANDARD: Die ÖVP nimmt derzeit angesichts der vielen Flüchtlinge einen neuen Anlauf für eine Leitkulturdebatte. Gibt es so etwas wie ungeschriebene Gesetze hierzulande, die befolgt werden müssen?

Van der Bellen: Die Einhaltung der Gesetze ist eine Sache, die man zu Recht von jedem erwarten kann. Ebenso gilt das Prinzip, dass das Gewaltmonopol im Staat bei Polizei und Militär liegt. Und Brauchtum, Traditionen können natürlich was Schönes sein, in den Dörfern genauso wie unter den bei uns Zugewanderten.

"In den nächsten sechs Jahren ist der Beitritt wohl ausgeschlossen. Egal ob die Türkei die rote Linie überschreitet", sagt der Hofburgkandidat.
Foto: Cremer

STANDARD: Ist es in Ordnung, wenn hierzulande Erdoğan-Fans auf die Straße gehen, um für den türkischen Premier zu demonstrieren?

Van der Bellen: Wenn damit für die Einschränkung der Meinungsfreiheit, der Medienfreiheit und implizit gegen die Rechte eines Teils der türkischen Bevölkerung, der Kurden, mitdemonstriert wird, ist das gar nicht in Ordnung. Dann muss klar festgehalten werden: Wir haben für unsere Werte gekämpft und werden uns hier nicht einschränken lassen.

STANDARD: Sollen derartige Demos untersagt werden?

Van der Bellen: Bei Demoverboten wäre ich vorsichtig. Als Präsident würde ich die Organisatoren aber zu Gesprächen einladen und darüber reden, was sie mit ihrem Protest genau ausdrücken wollen.

STANDARD: In Ihrer Amtszeit als Präsident wäre ein EU-Beitritt der Türkei ohnehin kein Thema, nicht?

Van der Bellen: Da braucht es keinen Konjunktiv. In den nächsten sechs Jahren ist der Beitritt wohl ausgeschlossen. Egal, ob die Türkei jetzt die rote Linie überschreitet oder nicht. Die Einführung der Todesstrafe wäre so eine.

STANDARD: Die Regierung liebäugelt ständig mit dem Abbruch.

Van der Bellen: Ähnliche Überlegungen gibt es immer, wenn wir mit unsympathischen Regimen sprechen. Manchmal stellt sich aber heraus, dass ein Minimum an Konsens erzielt werden kann – deswegen brauchen wir bei dem Zeithorizont keine Tür zuzuschlagen. Denn damit helfen wir weder den Journalisten noch den Kurden noch den Frauen in der Türkei.

STANDARD: Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) will ein Soldaten-Denkmal auf dem Heldenplatz errichten lassen, wogegen die Grünen seit Wochen mobilisieren – und Sie?

Van der Bellen: Ich bin nicht grundsätzlich dagegen. Aber ich würde gern noch mal mit dem Verteidigungsminister reden, was und wie er sich das genau vorstellt. Das Bundesheer hat jedenfalls über Jahrzehnte gute Arbeit geleistet – das habe ich selbst etwa bei einem Besuch bei unseren Uno-Soldaten auf dem Golan gesehen.

STANDARD: War es ein Fehler, dass wir unsere Soldaten dort angesichts ständig neuer Gefechte rasch abgezogen haben?

Van der Bellen: Mich hat das betroffen gemacht, vor allem die Geschwindigkeit, in der das passiert ist. Das war keine gute Entscheidung.

STANDARD: Donald Trump will am ersten Tag seiner US-Präsidentschaft das geplante transpazifische Handelsabkommen stornieren. Das Abkommen TTIP mit der Europäischen Union scheint damit wohl auch gegessen.

Van der Bellen: Das kann man mit einem gewissen Recht vermuten. Wenn er das eine sofort aufkündigen will, wird es bei einem anderen Abkommen auch nicht weitergehen.

STANDARD: Finden Sie das als Ökonomieprofessor gut oder schlecht?

Van der Bellen: Für die Exportwirtschaft ist das nicht gut, aber es gibt berechtigte Bedenken der heimischen Bauern bezüglich der Nahrungsmittelproduktion. Und das muss man, falls doch weiterverhandelt werden sollte, alles behutsam abwägen, wie Heinz Fischer sagen würde. (Peter Mayr, Nina Weißensteiner, 23.11.2016)