Schon Donnerstagmorgen kommen die Besucher zu den Bildern und Skulpturen von Anselm Kiefer "Frauen der Antike".

Foto: Johnny Erling
Foto: Johnny Erling

Die ersten Besucher für die in Peking hitzige Debatten auslösende Werkausstellung von Anselm Kiefer drängen sich schon am Morgen vor dem renommierten CAFA-Museum für zeitgenössische Kunst. Werbetafeln preisen auf Chinesisch die Werkschau "Kiefer in China" an. "Wir haben nicht so viele Interessierte erwartet", die die 82 Bilder und Skulpturen sehen wollen, sagt Gao Gao. Sie ist stellvertretende Leiterin des Museums, in dem die Ausstellung noch bis Jänner gezeigt wird. "Kiefer ist bei uns ein berühmter Name. Endlich können wir seine Werke im Original sehen."

Künstler nicht eingebunden

Der "da shi" (große Meister), wie der deutsche Künstler auf Chinesisch genannt wird, ist über seine Ausstellung aber alles andere als froh. Obwohl es ihn freue, wie andächtig die Besucher vor seinen Bildern stehen, sich von Fachkundigen die Techniken erklären lassen. Doch der Andrang, der die Ausstellung zum Publikumsmagneten macht, hat auch mit seinem wütenden Protest zu tun, der im Internet Wellen schlägt. Nach Kiefers Angaben wurde er von den deutschen Organisatoren der Ausstellung weder gefragt noch eingebunden und nicht einmal informiert. Die Kuratorin Beate Reifenscheid vom Ludwig-Museum in Koblenz und vor allem die in Hamburg ansässige Kunstagentur Bell Art GmbH legten ihre Privatsammlungen von Kiefer-Werken zusammen und machten daraus die Ausstellung für China. Sie hätten alles alleine arrangiert, künstlerisch geplant und finanziert.

Damit aber will Kiefer nichts zu tun haben, erst recht nicht nachträglich. "Die behandeln mich wie einen toten Künstler", sagte er der "Süddeutschen Zeitung", und dass er sich wie "vergewaltigt" fühlte. Chinas soziale Medien ergriffen Partei für ihn. "Mordfall in der Zentralakademie", steht über einem tausendfach kopierten Onlineaufsatz. Die Ausstellung sei eine Untat, die an dem noch lebenden Kiefer verübt werde. "Jeder Künstler kann seine Wut nachempfinden."

Die Museumsleiter weisen alle Schuld von sich. In "gewisser Weise" seien sie "selbst Betrogene". Als Vertragspartner hätten sie nur die Räume gestellt, für die Beschriftung der Exponate und Werbung gesorgt.

Museum geschockt

"Wir haben erst Tage vor der Eröffnung von Kiefers Protesterklärungen erfahren. Wir waren geschockt." Sie hätten gedacht, eine "normale" Ausstellung eines großen internationalen Künstlers auszurichten, hätten sogar über Medienauftritte und Künstlersymposien zum Besuch von Kiefer diskutiert. Man habe von der deutschen Seite sofort Aufklärung verlangt, warum er nicht komme. Und lediglich erfahren, dass Kiefer angeblich mehrfach kontaktiert worden sei, ohne Antwort zu geben. Der Künstler bestreitet das, ein Wort steht gegen das andere. Doch für das Museum ist es "sehr peinlich".

Schon beim Aufgang zur Ausstellung zeigt sich die fragwürdige Planung. Entlang der Wand sind die wichtigsten Stationen des Lebens von Anselm Kiefer beschrieben. Der Eintrag am Ende feiert seine "erste umfassende Werkschau" in China und kündigt sie als "Wanderausstellung" an. 2016 bis 2017 sollen die Exponate in China gezeigt werden. Gao weiß nicht, wo die nächste Station nach Peking ist. "Uns wurde nichts dazu gesagt." Im Nachhinein findet sie das sonderbar.

Moralische und ethische Fragen

Juristisch gibt es dagegen keine Probleme. Nach internationalem Austellungsrecht dürften Sammler die von ihnen besessenen Werke eines Künstlers auch ohne dessen Genehmigung ausstellen. Doch bei einer Werkschau für China sei das absurd. "Das wird uns als Lehre dienen", sagt Gao. Die große Nachrichtenseite "The Paper" schreibt, es gehe hier nicht um die Anwendung des Rechts, sondern um moralische und ethische Fragen künstlerischer Ausstellungen.

Dieser Ansicht ist auch Fan Dian, Präsident der Zentralakademie der Künste, zu der das Museum gehört. Er sei "sehr bedrückt" über die Entwicklung. Kiefer habe in Chinas Kunstszene großen Einfluss, er habe ihn selbst vor zwei Jahren getroffen. Die chinesische Seite könnte zwar ihren Vertrag mit der Bell Art GmbH nicht einseitig kündigen, aber "gefühls- und verhaltensmäßig" sei das nicht in Ordnung. Die Exponate waren schon in Peking, als Chinas Akademie erfuhr, wie wütend Kiefer war. Viele Museen in China wollen ihn seit Jahren ausstellen. Die jetzige Präsentation zeige zwar großartige Werke, aber nur aus zwei Sammlungen. Er werde sich dafür einsetzen, dass es "künftig zu einer umfassenden Kiefer-Ausstellung in China kommt. Mit ihm."

Viele Fragen richten sich nun an die Bell Art GmbH, die sich auf die Fahnen geschrieben hat, chinesische Kunst nach Europa zu bringen. Chinas Blogger legen ihren Fokus auf die vermutete Vermischung von Markt und Kunst, die zu der für alle peinlichen Affäre um eine Ausstellung und ihren Künstler geführt hat, die beide ansonsten in China hochwillkommen wären. (Johnny Erling, 24.11.2016)