STANDARD: So wie das Jahr begonnen hat, endet es: turbulent. Wen bekommen die Börsen mit Donald Trump vorgesetzt?

Müller: Was medial als große Überraschung gefeiert wird, war seit Wochen absehbar. Gegen Trump wurde eine mediale Hetzkampagne geführt. Eliten wollten klar machen, dass Trump-Wähler Hinterwäldler sind. Viele trauten sich dann bei den letzten Umfragen nicht mehr zuzugeben, wo sie ihr Kreuzchen machen werden, um nicht als Idiot dazustehen. Von daher hätte man von Anfang an einen gewissen Prozentsatz an unwahren Antworten zugunsten Trumps miteinkalkulieren müssen. Das ist aber nie passiert.

STANDARD: War die Reaktion der Märkte überraschend für Sie?

Müller: Allerdings. Ich hätte bei einer Wahl Trumps doch mit erheblichen Turbulenzen gerechnet, weil er für die Börsen ein sehr großer Unsicherheitsfaktor ist. Niemand weiß, was von seinen Wahlsprüchen er umsetzen wird, welche Handelshemmnisse er neu aufbaut, welche Branchen er in den USA unterstützen und welche er einschränken wird. Unsicherheit ist genau das, was die Börsen verabscheuen.

Nachdem die Märkte in den ersten Stunden nach der Wahl deutlich in die Knie gegangen sind, passierte etwas extrem Ungewöhnliches: Aus heiterem Himmel wurde der Markt durch große Käufe nach oben gezogen, als wäre nie etwas passiert. Dafür habe ich bislang noch keine saubere Erklärung. Die Reaktion der Märkte wurde nicht von Leuten ausgelöst, die mal so meinten, jetzt sei der richtige Zeitpunkt, zu kaufen. Wir haben längst keine freien Märkte mehr, wir haben hoch manipulierte Märkte. Und die sind für mich derzeit wesentlich unkalkulierbarer als die politischen Entwicklungen. Die Zeiten werden sicher auch 2017 turbulent bleiben.

STANDARD: Das betrifft auch die Zinspolitik in den USA und Europa?

Müller: Trump hat wiederholt gesagt, dass US-Notenbankchefin Janet Yellen für ihn die falsche Frau ist. Wie die Fed jetzt reagiert, ob sie sich jetzt leichter tut mit einer Zinserhöhung im Dezember oder ob Yellen vielleicht in nächster Zeit hinschmeißt, ist schwer einzuschätzen. Europa wird die niedrigen Zinsen beibehalten. Es gibt keinen Grund für Euphorie. Ganz im Gegenteil. Erst recht, wenn Trump Handelshindernisse aufbaut. Damit wird mit den USA einer unserer wichtigsten Exportpartner in etwas weitere Ferne rücken.

STANDARD: Muss China bangen?

Müller: Ja. Globalisierung kann nicht funktionieren, wenn man nach völlig unterschiedlichen Spielregeln spielt. Staatlich subventionierter chinesischer Dumpingstahl beispielsweise ruiniert die Industrie in den Imprtländern. Da wird Trump mit Strafzöllen ansetzen. Parallel haben die Chinesen amerikanische Staatsanleihen in großem Stil verkauft. Das heißt nichts anderes, als dass Investitionsgeld sehr schnell aus China abfließt, also zurück nach Amerika geholt wird. Das bringt die chinesische Währung unter Druck und zwingt Peking dazu, Währungsreserven freizusetzen.

STANDARD: Sie sagten einmal, in China sei in "unglaublich viel Blödsinn" investiert wurde. Das wird nun auch schlagend?

Müller: Absolut. In China hat sich über zwanzig Jahre hinweg eine Blase entwickelt, die man sich ob ihrer schieren Größe gar nicht vorstellen kann. Da gibt es Fehlinvestitionen wie der Bau von Städten für Millionen Einwohner, die komplett leer stehen und wertlos vor sich hin oxidieren. Gleichzeitig besteht in den großen Ballungszentren wie Peking und Schanghai hinsichtlich der Preise ein Immobilienwahnsinn. Bis zu dreißig Jahreseinkommen muss für eine einfache Immobilie hingeblättert werden – das sind Dimensionen, wie es sie in dieser Form weltweit nicht gibt.

Zudem gibt es Unternehmen, die eigentlich nur Verluste produzieren und dennoch vom Staat ermuntert werden, weitere Kredite aufzunehmen und weiter auf Teufel komm raus sinnlose Dinge zu produzieren – Hauptsache es werden neue Arbeitsplätze geschaffen. Die Verschuldung chinesischer Unternehmen liegt mittlerweile bei 160 Prozent des BIP. Im schlimmsten Fall für China springen die weltweiten Investoren ab, die dieses Schneeballsystem möglich machen. Und dann platzt die Blase. Das ist eine Frage der Zeit.

STANDARD: Trump will an vielen wirtschaftlichen Fronten ansetzen. Was davon ist realistisch?

Müller: Eigentlich müsste Trump jetzt mit eisernem Besen das umsetzen, was er angekündigt hat. Aber Trump ist kein Alleinherrscher, kein Diktator, auch kein Erdoğan und die USA sind keine Bananenrepublik, sondern eine gut untermauerte Demokratie. Sämtliche Entscheidungen, sei es, Obamacare oder die Handelsabkommenn zurückzunehmen, brauchen Mehrheiten in Senat und Kongress. Trump hat große Pläne und seine größte Gefahr ist, dass er seine Anhänger enttäuscht. Vieles, was er im Wahlkampf gesagt hat, wurde allerdings völlig verdreht dargestellt. Was bitteschön ist verwerflich daran, eine bestehende, aber mittlerweile durchlässigen Grenze zu Mexiko wieder so herzurichten, dass sie gesetzeskonform ist?

STANDARD: Das Abschieben von Millionen illegaler Arbeitskräfte hätte massive Auswirkungen auf die amerikanische Gesellschaft. So rechnet die "Frankfurter Allgemeine" vor, dass die US-Wirtschaftsleistung um eine Billion Dollar sinken würde, wenn alle elf Millionen "Illegale" ausgewiesen würden.

Müller: Es werden immer irgendwelche Horrorzahlen als Fakt dargestellt, mit denen man Politik und Meinung macht. Illegale werden das Land verlassen, dafür bekommen aber andere einen Job. Die USA haben eine sehr hohe Arbeitslosenquote, wobei die offiziellen Statistiken hinten und vorne nicht stimmen. Eine große Zahl von Menschen wird aus diesen Statistiken herausgenommen, weil sie beispielsweise zu den Frustrierten gehören, die lange ohne Job waren und damit dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung stehen. Das heißt, es gibt Millionen Arbeitslose in Amerika, die sofort einen Job annehmen würden. Vielleicht werden die entsprechend der Gesetze mit ein paar Dollar mehr bezahlt als Illegale. Man sollte sich die perverse Argumentationskette erst einmal auf der Zunge zergehen lassen: Die Amerikaner sollen nach derzeitiger Auffassung weiter illegale Einwanderer illegal beschäftigen und mit nicht gesetzmäßigen Löhnen bezahlen müssen.

STANDARD: Was könnte Trump als erstes umsetzen?

Ich denke, er wird schon bald ein Gesetz verabschieden, das es ermöglicht, die riesigen Summen, die Konzerne wie Apple oder Starbucks im Ausland bunkern, mit einer ganz geringen Abgeltungssteuer von unter zehn Prozent ins Land zu holen. Damit hätte er hunderte Milliarden an Investitionskapital gewonnen.

STANDARD: Könnte sich bei der Deutschen Bank ein US-Deal anbahnen?

Müller: Aus meiner Sicht wird die Deutsche Bank aus den USA sturmreif geschossen. Gut, ihre Probleme sind hausgemacht, aber teils auch systembedingt. Sie ist in einer Sandwichposition. Im unteren Bereich haben wir die Volksbanken und Sparkassen, die das Massengeschäft abdecken. Auf Investmentbankingebene haben wir die großen weltweiten Konzerne, die Konkurrenz verabscheuen. Die Deutsche Bank findet nicht richtig Tritt, hat lange versucht, mit illegalen Methoden aus diesem Dilemma zu finden. Das fällt ihr jetzt auf den Kopf. Die US-Justiz verlangt eine Rekordstrafe von 14 Milliarden Dollar. Ich denke, die Deutsche Bank wird ihr US-Geschäft einstellen und als rein europäische Kundenbank bestehen und damit interessant für US-Geldhäuser werden. Ich kann mir ein Übernahmeangebot in den nächsten zwölf Monaten vorstellen.

STANDARD: Würden Sie in Deutsche-Bank-Aktien investieren?

Müller: Absolut nicht. Die Banken in Deutschland und Europa sind für mich nicht kalkulierbar. Wir haben viel zu viele Banken. US-Banken haben weit bessere Kosten- und Ertragsquoten und sind besser aufgestellt. Das Bankgeschäft in Europa ist kaum kalkulierbar und daher reines Glücksspiel.

STANDARD: Inwiefern sind US-Unternehmen kalkulierbarer?

Müller: US-Banken bekommen massive Unterstützung seitens der Regierung. Auch ich investiere mit meinem Fonds zu 60 Prozent in US-Unternehmen. Das liegt nicht daran, dass dort die klügsten Köpfe sitzen, sondern dass die Unternehmen maximale Rechts- und Planungssicherheit haben. Rechtssicherheit heißt, dass Verträge, die ich heute schließe, auch zwanzig Jahre später gelten und dass man keine Korruption befürchten muss. Planungssicherheit – und die gibt es beispielsweise in Deutschland und auch in Österreich nicht mehr – heißt, dass die Regeln, die heute für Unternehmen gelten, möglichst lange Bestand haben, also Auflagen wie Arbeitsschutz oder Umweltschutz.

Die US-Regierung nutzt ihre Macht, um Konkurrenten für die heimische Wirtschaft aus dem Weg zu räumen. Wir sehen das beim Steuerstreit zwischen Apple und der EU, wir sehen das bei VW, wo de facto ein Anti-VW-Gesetz verabschiedet wurde, um den Autobauer aus dem amerikanischen Markt möglichst rauszuhalten: Die Abgaswerte für Dieselfahrzeuge wurden so tief angesetzt, dass VW sie gar nicht einhalten kann.

STANDARD: Sie haben gerade den Dirk Müller Premium Fonds angesprochen, der vor gut eineinhalb Jahren aufgelegt wurde. Derzeit steht er nicht gut da und es hagelt Kritik von außen.

Müller: Das nehme ich belustigt zur Kenntnis. Tatsächlich ist unser Fonds so aufgelegt, dass wir darauf achten, wo unsere Unternehmen in zehn Jahren stehen – im Unterschied zu den meisten anderen großen Fonds, die sich möglichst wie der Index verhalten möchten. Zudem haben wir Absicherungen im Depot, die große Kurseinbrüche verhindern. Andere Investoren springen hin und her – je nachdem, was gerade in Mode zu sein scheint. Das machen wir ganz bewusst nicht. Uns ist wichtiger, dass wir bei Unternehmen investiert sind, die in zehn Jahren gut dastehen. Da ist es auch zu akzeptieren, wenn ein Unternehmen zwischendurch ein schlechtes Quartal hat. Natürlich steigen sie unterm Strich auch etwas langsamer, dafür schlafen wir aber auch ganz gut, wenn es auf den Märkten mal heftig wird. Tatsächlich waren wir im gesamten letzten Jahr besser als der Gesamtmarkt – zum Teil 14 Prozentpunkte über dem Vergleichsindex.

STANDARD: Welche Aktien können Sie aus heutiger Sicht empfehlen?

Müller: Unternehmen, die seit Jahren Gewinne machen, saubere Bilanzen aufweisen und ein möglichst einfaches Geschäftsmodell ihr Eigen nennen, also auf wenige Produkte konzentriert sind, die eine Marktmacht haben, an denen keiner vorbeikommt, die nicht austauschbar sind und die eine Story für die nächsten Jahre vorlegen können. Exemplarisch wären das Namen wie Apple, Facebook, Google, Amazon. Aber auch Pharmawerte werden unter Trump interessant werden. (Sigrid Schamall, Portfolio 2016)