Bildungscampus im Sonnwendviertel beim Wiener Hauptbahnhof: Wenn die Schule nicht nur ein Aufbewahrungsort für Kinder ist, profitieren alle.

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Experte Stefan Hopmann ließ in dieser Woche den STANDARD in einem Interview wissen, was er als Universitätsprofessor für Bildungswissenschaften von den Ganztagsschulplänen der Regierung hält. Kurz gesagt: nichts. Mehr noch: Hopmann sagt, es gebe "keinen messbaren Nachweis, dass die Ganztagsschule die Chancengleichheit fördert", daher: "Ganztagsschulausbau ist hinausgeworfenes Geld!"

Kein Wunder, dass darob die Wogen im STANDARD-Forum hochgingen, Angreifer und Verteidiger der These hielten sich in etwa die Waage. Auffällig war auf den ersten Blick, dass Hopmann zu Chancengleichheit befragt wurde und von Lernerfolgen sprach. Das ist nicht zwingend ein und dasselbe.

Zu klein, zu eng, zu voll

Das Problem ist, dass die Ganztagsbetreuung an den meisten Schulen derzeit alles andere als zufriedenstellend ist. Das liegt vor allem an den räumlichen Gegebenheiten: zu klein, zu eng, vollkommen ungeeignet dafür, dass sich Kinder und Lehrer hier bis zu acht Stunden täglich aufhalten. Vor allem im Winter, wenn das Wetter nicht mitspielt, findet der Schultag hauptsächlich indoor statt. Das bedeutet zumeist: in der Klasse bleiben. Abgesehen vom Mittagessen im Speisesaal verbringen die Kinder den Großteil des Tages dort. Wenn es gut geht, ist ein wenig Toben im Turnsaal drinnen, vielleicht ist auch noch der Werkraum frei – ansonsten: Klassenzimmer.

Das ist kein befriedigender Zustand – weder für Mittelschichtkinder noch für jene, deren Eltern am unteren Ende der Einkommensskala stehen, noch für jene, die aus bestens betuchten Haushalten kommen (sofern sie nicht in Privatschulen gehen). Daraus ein verdecktes Mittelschichtprogramm zu machen, das bei knappen Kassen eigentlich keine Priorität haben dürfte, ist kühn.

Das eine und das andere

Im Gegenteil: Man könnte auch das Gedankenexperiment wagen, dass Kinder aus finanziell bescheidenen Verhältnissen in einer ideal gebauten Ganztagsschule vielleicht sogar besser aufgehoben sind und ungestörter lernen können als daheim, in einer überfüllten Kleinstwohnung, wo es eigentlich gar keinen Platz für Kinder gibt.

Der Herr Professor hat schon recht: Am allerwichtigsten ist die individuelle Förderung von Kindern. Davon profitieren übrigens nicht nur die Lernschwachen, sondern auch jene, denen die Schule leicht fällt. Aber das eine zu wollen heißt nicht automatisch, das andere zu unterlassen. Der Bau zeitgemäßer Schulgebäude, in denen nicht nur das Lernen nach Lehrbuch, sondern auch der Erwerb von Sozialkompetenzen bei gemeinsamem Spiel und Sport gefördert wird, ist mindestens gleichrangig mit der Forderung, mehr Förderlehrer einzustellen.

Macjobs

Auch die Behauptung, dass "die Eltern jener Kinder, die am härtesten getroffen sind, nicht beide in geregelten Beschäftigungsverhältnissen stehen" – und ergo gar keine Ganztagsschulformen bräuchten, kann so nicht unwidersprochen stehenbleiben. Viele Menschen im untersten Einkommenssegment haben sogar zwei oder drei Jobs, die sie nur mühsam unter einen Hut bringen können – da bleibt für das gemeinsame Hausaufgabenmachen und Lernen mit dem Nachwuchs kaum Zeit. Ebenso wie die Mittelschichtfamilien mit zwei erwerbstätigen Eltern – warum es also verwerflich ist, hier zwei Bedürfnisse auf einen Schlag zu decken, bleibt rätselhaft.

Sollte Bildungsministerin Sonja Hammerschmid dem Bildungsexperten tatsächlich auf den Kopf zugesagt haben, seine empirischen Daten über den Nutzen der Ganztagsschulen interessierten sie nicht, ist das erstens unklug und zweitens unhöflich. Empirie hat die Politik zu interessieren – was nicht heißt, dass man den Wert und die Interpretation der Daten nicht hinterfragen soll. Im Fall des Schulausbaus ist ein "Ja, aber trotzdem" mehr als gerechtfertigt. (Petra Stuiber, 27.11.2016)