Wieder geht ein Gespenst um, das Gespenst des Populismus. Doch anders als damals, als ein Manifest nachhaltig zur Popularisierung des neuen Ismus beitrug, verzweifelt, wer sich auf die Suche nach dem Manifest der Populistischen Partei macht.

Wäre der P-ismus ein Ismus, gäbe es etwas, was Gegner, Anhänger und alle dazwischen Stehenden lesen könnten, um sich eine Meinung darüber zu bilden, wofür er einsteht, was er befürwortet, wogegen er sich ausspricht und welche bessere Zukunft er jenen in Aussicht stellt, die sich in seine Reihen einordnen. Doch was steckt dann hinter dem möglicherweise bloß falsch bezeichneten Phänomen?

Es wäre falsch, den schrecklichen Vereinfachern zu folgen, die so tun, als handle es sich beim P-ismus um eine einheitliche weltanschauliche Bewegung, die sich Zug um Zug über die Welt ausbreitet. Das dümmliche Gerede Wohlmeinender über, beispielsweise, Auswirkungen des Siegs Trumps auf dieses oder jenes europäische Land hat so viel Realitätsgehalt wie die von Freunden der Chaostheoretiker verbreitete Mär vom Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien und dem Auftreten eines Tornados in Texas.

Unkonventionell

Der P-ismus entzieht sich der konventionellen Sichtweise, die entweder Interessen oder Ideen als treibende Kräfte der Geschichte sieht. Die Kontrahenten vergessen, nach möglichen dritten Faktoren Ausschau zu halten. John M. Keynes mag als Beispiel für diese Haltung des "Entweder-Oder, aber kein Drittes" zitiert werden: "Ich bin sicher, dass die Macht der Interessen im Vergleich zu dem allmählichen Vordringen der Ideen weit übertrieben ist" liest man in seiner Allgemeinen Theorie.

Eine andere Vereinfachung ist die Suche nach alles erklärenden Faktoren: Protestwähler und Modernisierungsverlierer. Nach einem Vierteljahrhundert steigender Wähleranteile populistischer Parteien kann Protest keine sinnvolle Erklärung sein. Wer seine Stimme mehr als einmal einer solchen Partei gibt, gehört zu den Antipoden des Establishments.

Ähnliches gilt für die angeblich zu kurz Gekommenen, für jene, die der technologische Wandel an den Rand gedrängt habe. Österreich macht ja nicht gerade wegen seines rapiden technologischen Wandels Schlagzeilen – und jene Länder, wo derartiger tatsächlich stattfindet, haben gerade keine populistischen Parteien.

Jede Zuflucht bei Schlagworten ist auch deswegen infrage zu stellen, weil damit meist auch gleich Remeduren mitgeliefert werden: Hören wir doch genauer hin, nehmen wir die Sorgen der Leute ernst, bremsen wir den technologischen Wandel, verzichten wir auf den Freihandel usw. begleiten solche Schlagwortdiagnosen wie ihr eigener Schatten.

Steckt also gar nichts Verallgemeinerbares hinter dem P-ismus?

Statt von Ideen, Interessen, Verlierer etc. zu reden, scheint es mir sinnvoller, die Weltsicht der Wähler populistischer Parteien zu sezieren. Die Mehrheit sind keine Ideologen mit einer einigermaßen kohärenten Weltsicht. Populisten sind erfolgreich, weil sie Demagogen sind, denen es weder um Wahrheit noch Widerspruchsfreiheit ihrer Rede zu tun ist. Um einer Schlagzeile willen, verkaufen die Trumps und Straches, respektive jene, die ihre Twitter-Accounts bedienen und Presseaussendungen dichten, die sprichwörtliche Schwiegermutter.

Die Beziehung zwischen dem Demagogen und den ihm Beipflichtenden ist anderes als die zwischen Führern und Anhängern von Weltanschauungs- und Interessenparteien. Ideologische Bewegungen zielen auf Überzeugung; Patrone lassen ihrer Klientel Gratifikationen zukommen. Klassische Massenparteien oszillierten zwischen diesen Polen.

Dank des P-ismus findet die Tradition der Volksbelustigung eine Fortsetzung in modernen Parteienwettbewerben; wer für eine Hetz sorgen kann, erntet Applaus und bei Wahlen Stimmen. Was den Demagogen im Innersten bewegt, ist seinem Publikum höchst gleichgültig, solange er Unterhaltung liefert; dass die selten hochkulturellen Ansprüchen zu genügen vermag, kümmert das Publikum nicht. Eine Standardstrategie des Demagogen besteht darin, das Verpönte auszusprechen, den moralischen Konsens herauszufordern und das zu sagen, was andere für unaussprechlich halten.

Das Schlimmste, was einem Demagogen widerfahren kann, ist, dass seine Äußerungen mit Schweigen oder Gähnen quittiert werden. Hier tritt nun im politischen Feld etwas auf, das man nach Joseph Heller Catch-22 nennen kann. Was immer man tut, man tut das Verkehrte. Widerspricht nie jemand dem Demagogen, gewinnt er mit seinen Gegenreden die Hegemonie. Schreit die Hautevolee bei jedem Rülpser stets in gleicher Tonhöhe und Lautstärke auf, macht sie sich in den Augen der Zuhörer des Demagogen zunehmend lächerlich. Da in heutigen Gesellschaften eine konzertierte Reaktion der Wohlmeinenden auf den Demagogen nicht organisierbar ist, gewinnt er immer. Allein, der Demagoge kann sich nicht damit zufriedengeben, immer das Gleiche zu sagen, da das zu wenig unterhaltend ist, also muss er eskalieren – und übertreibt es dann vielleicht irgendwann einmal, sodass sich das Publikum von ihm abwendet.

Schnelles Denken

Die dem Applaus für den P-ismus zugrunde liegenden Prozesse werden deutlich, wenn man an die Unterscheidung erinnert, die der israelisch-amerikanische Psychologe Daniel Kahneman populär gemacht hat. Er unterscheidet zwischen schnellem und langsamem Denken. Ersteres ist uns ohne viel Nachdenken zugänglich, wir reagieren automatengleich auf äußere Reize. Tritt beispielsweise etwas Fremdes in unser Blickfeld, reagieren wir mit Fremdeln, wenden uns ab, flüchten oder verjagen es. Menschheitsgeschichtlich war dieses Denken überlebenswichtig. Langsames, abwägendes Denken können wir uns heute leisten, doch das schnelle Denken verschwindet nicht, weil es nicht mehr überlebensnotwendig ist. Das langsame Denken bedarf des Erlernens und Einübens des Abwägens eigener Reaktionen. Also genau das, was die Adoranten des Demagogen auf Eis gelegt haben.

Die Zuhörer des Demagogen müssen erkennen lernen, dass ihre spontane Aktion, beispielsweise die Stimmabgabe für einen zwielichtigen Milliardär vom Schlage Trumps oder einen Unterhaltungskünstler à la Beppe Grillo weder ihren Interessen dient noch mit den Ideen vereinbar ist, die sie bei ruhigem Nachdenken für akzeptabel halten. Nachdenklichkeit aufseiten der Applaudierenden fördert man nicht, wenn man diese einen "erbärmlichen Haufen aus Sexisten, Rassisten und Homophoben" nennt.

Geht man auf die Provokationen des Demagogen nicht ein, sondern diskutiert die aus seinen Äußerungen folgenden politischen Maßnahmen und deren Verwirklichungsmöglichkeit und Umsetzungshindernisse, nimmt man seinem Furor den Wind aus den Segeln. Also statt Europafeindlichkeit und Xenophobie zu attestieren, ruhig über absehbare Folgen des Brexit und Öxit reden.

Die, die dem Demagogen applaudieren und ihn wählen, denken nicht nur schnell, sie verarbeiten ihre Erfahrungen auch in einer Form, die mit Ideen und Interessen nicht dingfest gemacht werden kann. Max Scheler lieferte dafür schon vor 100 Jahren beachtenswerte Einsichten, als er sich mit dem Ressentiment auseinandersetzte. Um ein solches auszubilden, bedarf es der Begegnung mit etwas, das man als ungerecht empfindet, wogegen man sich aber nicht in der Form zur Wehr setzen kann, dass das eigene Handeln die Umstände aus der Welt schaffen könnten, die die als ungerecht erfahrende Situation hervorgebracht haben. Diese Ohnmacht wird von einem Groll begleitet, der sich diffus gegen die richtet, denen man die Schuld für die Ungerechtigkeit, die Ohnmacht und den Groll zuschreibt. Das anfängliche Ungerechtigkeitsempfinden kann dabei höchst subjektiv sein. Ein Beispiel Schelers mag das zu illustrieren: Das Ressentiment gegen die Schwiegertochter resultiert daraus, dass die Mutter meint, der Sohn werde ihr ungerechterweise weggenommen, wogegen die Schwiegermutter aber gerade nichts tun kann und den Groll dennoch verspürt.

Der Mechanismus der Ausbildung von Groll angesichts einer Ohnmacht, die man verspürt, weil man etwas, was einem als ungerecht erscheint, nicht aus der Welt schaffen kann, erklärt die Bewunderung und Stimmgabe für Demagogen wohl besser als das meiste, was Politikwissenschaftler bislang dazu hervorgebracht haben.

Über Scheler hinausgehend, kann man dem Gefühl der Verunsicherung Beachtung schenken. Viele der traditionellen Statusmarker – vom Ehemann und Vater, über den Beruf, den man ein Leben lang eben nicht mehr ausübt, bis zur Sicherheit darüber, morgen noch im selben Ort zu wohnen – kamen ins Rutschen und erodierten das Selbstbewusstsein und die Stabilität der Identität. Marie Jahoda hat darauf aufmerksam gemacht, dass der neue Nationalismus vielleicht darauf beruht, dass (nahezu) nur noch der Ort, an dem man einst geboren wurde, einem als stabile Grundlage bleibt, um die Frage, wer man denn sei, so beantworten zu können, dass man nicht alle paar Jahre darauf eine neue Antwort zu geben habe.

Keine Abhilfe

Angesichts einer absehbaren Zukunft schwachen Wirtschaftswachstums wird es weiterhin für viele zahlreiche Anlässe geben, um Ungerechtigkeiten auszumachen, gegen die keine Abhilfe sich in Griffweite befindet. Der Prozess der Unterhöhlung einstmals stabiler Identitäten und die ökonomische Stagnation vervielfachen die Möglichkeiten der Ausbildung von Ressentiments.

Gibt es dagegen kein Gegengift? Vermutlich nur das eine, die Demagogen einmal an die Macht lassen zu müssen, damit sie sich mit ihren leeren Versprechungen blamieren. Wenn die zur Macht strebenden Demagogen wenigstens keine Putschisten sind – was wohl für die Mehrheit der heutigen Populisten gelten dürfte -, dann werden parlamentarische Systeme diese Zeit auch überleben. Vielleicht sind die Leute danach ein wenig klüger.