Wer gegenüber seinen Mitmenschen leicht aggressiv wird, ständig droht und herumbrüllt, hat schon verloren: Er ist schwach, nicht stark. So jemand ist verunsichert und unsouverän. Deshalb verunsichert er andere, verletzt deren Souveränität – bis sich alle abwenden.

Diese Grundregel für zivilisiertes Zusammenleben gilt nicht nur im Privatleben, sie betrifft auch Staatspräsidenten wie Tayyip Erdoğan. Dieser hat der Union wieder einmal den Bruch des Migrationspakts angedroht – gefühlt zum dreißigsten Mal. Kann man das ernst nehmen?

Das sollte man, denn Erdoğan spielt mit Menschenleben. Sein Ministerpräsident Binali Yildirim redete davon, man könnte syrische Flüchtlinge quasi als Waffe einsetzen: Zigtausende würden "Europa überfluten und übernehmen". So reden auch die (extremen) Rechtspopulisten.

Aber was sollten verantwortliche Politiker in der EU tun? Erstens: dem diplomatischen Gebrüll aus Ankara nicht selbst ständig mit "starken Sprüchen" antworten. Man muss "den Türken", die beileibe nicht alle für Erdoğan sind, nicht täglich erklären, sie seien prinzipiell "nicht europareif".

Zweitens: sachlich bleiben. Ein EU-Beitritt ist auf Sicht kein Thema; die Türkei ist wirtschaftlich von der EU abhängiger als umgekehrt. Erdoğan schreit so laut, weil die Konflikte zunehmen; weil das von ihm drangsalierte Land schwächelt, Investitionen braucht. Mit Flüchtlingshandel und Brutalität gewinnt er die Gunst von Investoren nicht.(Thomas Mayer, 25.11.2016)