Ein Fabelwesen der Gegenwart: Federico Bonaldis "Friedenstaube" aus dem Jahr 1985.

Foto: Sammlung Bonaldi

Wien – Aberwitzige Mischwesen und Ungeheuer prägen die Bilder des Renaissancemalers Hieronymus Bosch. Im Weltgerichtstriptychon spielt ein eiförmiges, menschenbeiniges Reptil auf einer Flöte, die ihm statt des Mauls gegeben ist. Ein Zwerg, unter dessen Kutte Entenflossen hervorstehen, brät einen Menschen in der Pfanne. Ein Kopf, an den direkt die Füße anschließen, trägt ein Messer spazieren.

Bosch, geboren um 1450 im niederländischen Herzogenbusch, malte Unerhörtes. In einer auf maßhaltende Kunst geeichten Zeit entwarf er überbordende, fantastische (Alb-)Traumvisionen über die Heilsgeschichte. Bis heute geben diese Rätsel auf, bleiben in vielen Punkten unauflösbar. Ein schönes Schicksal vielleicht für die Kunst. Und jedenfalls eines, dem 2016 viel Ehre erwiesen wurde, da sich die Beerdigung des Meisters zum 500. Mal jährt.

Unter den Feiernden findet sich – als stolze Beherbergerin des allzeit sehenswerten Weltgerichtstriptychons – auch die Gemäldegalerie an der Wiener Akademie der bildenden Künste. Das Jubiläumsjahr beschließt man dort indes mit einer kleinen, aber feinen Ausstellung, die über Bosch hinausweist.

Nixen, Arcimboldo und eine Maus mit Menschenohr

"Natur auf Abwegen?" konzentriert sich auf den Aspekt der "Mischwesen, Gnome und Monster". Anhand dieser Wesen spannt Kuratorin Martina Fleischer einen Bogen von der Antike bis zur Gegenwart. Boschs Schöpfungen finden sich in eine abrisshafte Kulturgeschichte künstlich geschaffener Wesen eingebettet, die von frühen Nixendarstellungen über einen Arcimboldo-Kopf bis herauf zur "Vacanti-Maus" reicht: jenem (bedauernswerten) Nager, dem 1995 New Yorker Forscher ein Menschenohr auf dem Rücken implantierten.

Zunächst wird jedoch auf jene voraufklärerische und auch für Bosch maßgebliche Tradition verwiesen, die Mischwesen mit jeder Art von Sündhaftem, Hässlichem, Regellosem gleichsetzte. Grundgelegt hatte sie etwa der römische Dichter Horaz (65–8 v. Chr.): Mensch-Tier-Mischkulanzen hätten in der Dichtung nichts verloren, insofern sie der Idee einer schönen Natur entgegenstünden.

"Das Fremde ist ein Monster"

Demgemäß verortete die mittelalterliche Theologie "Monster" an den Rändern der Weltscheibe. Dort, in der noch zu missionierenden Fremde, tummelten sich Reiseberichten zufolge die seltsamsten Wesen, etwa hundeköpfige Menschen oder "Schattenfüßer": Geschöpfe, aus deren Köpfen wohl kurze Ärmchen ragen sollten, die ansonsten aber nur aus einem riesigen Fuß bestünden. Mit selbigem, so meinte man, spendeten sie sich in der sengenden Sonne des gar wunderlichen Ostens selbst Schatten. "Das Fremde ist ein Monster" heißt jenes von fünf Kapiteln in der Schau Natur auf Abwegen?, in dem man einem solchen "Skiapoden" begegnen kann. Eine Skulptur des Bildhauers Detlef Kelbassa (geb. 1959) ist ihm nachempfunden.

Im 16. Jahrhundert waren derlei Monster indes schon einem Bedeutungswandel unterworfen: Als François Desprez 1565 in eine Reihe von Holzschnitten, die Bräuche verschiedener Kulturen zeigten, eine Zyklopin einband, war das als Witz über eine obsolete Weltanschauung gemeint. Der abweichende Körper wurde zum Mittel der Kritik an herrschenden politischen Zuständen. Einen Nachklang solchen Verständnisses fand Kuratorin Fleischer dabei u._a. in einem Objekt des italienischen Künstlers Federico Bonaldi (1933–2012): in einem überdreht grinsenden, mit der Tricolore verzierten Drachen, den der Künstler staubtrockenen Humors Friedenstaube (1985) nannte.

Vögel mit Fehlern

Im Kapitel "Träume werden wahr" findet dann nicht nur ein Verweis auf das Klonschaf Dolly Platz, sondern auch eine bemerkenswerte Arbeit von Irene Hopfgartner (geb. 1986): Zu sehen sind Tierpräparate, die zunächst an die Wunderkammern des 16. und 17. Jahrhunderts erinnern. Tatsächlich manipulierte die Südtiroler Künstlerin die Präparate allerdings und verpasste einem Eichelhäher etwa einen zweiten Kopf, den eines Sperbers. Markant sind jene Arbeiten, in denen Hopfgartners Eingriffe fast unmerklich sind. Was an diesem augenscheinlich gentechnikfreien Vögelchen nicht stimmt, das hier sein Köpfchen gen Himmel gedreht hat? Vögel schauen nicht nach oben. (Roman Gerold, 28.11.2016)