Mit der Freiheit ist es wie mit dem Sauerstoff (...) Solange man ihn hat, bemerkt man ihn nicht, genauso wenig wie die Luft, die man atmet. Aber wenn die Luft fehlt, führt das über kurz oder lang zur Katastrophe". Mit diesem Vergleich des 2015 ermordeten Kreml-Kritikers Boris Nemzov leitet Friedrich Orter die Conclusio seiner Streitschrift ein. Aufwachen! fordert er angesichts einer aus den Fugen geratenden Welt, angesichts der neuen Weltunordnung. Er warnt vor dem Verlust von Frieden, Rechtsstaatlichkeit, Sicherheit, Wohlstand, Autarkie und Freiheit. "Gefordert sind Widerstandsgeist und Widerstandskraft, um jenen entgegenzutreten, die diese Errungenschaften der europäischen Aufklärung zerstören wollen, Demokratie und Menschenrechte mit Füßen treten – von außen und von innen." Penibel analysiert der 1949 geborene, oft prämierte Journalist Hintergründe und globale Entwicklungen.

"Die Hoffnung auf ein Zeitalter der Toleranz schwindet. Die Rückkehr der Religionen auf die politische Weltbühne ermöglicht Fanatikern skrupellos geistlose Angriffe auf die Vernunft." Orter beschreibt politisch-wirtschaftliche Kolonialisten, Migrationsbewegungen, Krieg, Hunger, den islamistischen Terror, die Schockstarre politischer Eliten, ohnmächtige Phrasendrescher, die grassierende Entscheidungsallergie, Gewalt und Verrohung der Gesellschaften, einen frisch importierten Antisemitismus, falsch verstandene Toleranz gegenüber Intoleranten, er zeigt aber auch Sezessionsbestrebungen innerhalb der EU, autoritäre Tendenzen vermeintlicher Partner und Nachbarstaaten. "Die Europäische Union ist am Scheideweg. Entweder sie schafft eine Neuorganisation und Neudefinition ihrer Institutionen, oder sie zerfällt", konstatiert Friedrich Orter klar.

"EU-Europa, außenpolitisch weltweit ein Eunuch mit gelegentlichen diplomatischen Möchtegern-Erektionen, ist mit seinen eigenen Schwächen heillos überfordert. Spätestens während der Finanzkrise 2007 wurde klar, dass Kapitalismus und Neo-Liberalismus keine funktionierenden Lösungsmodelle für die Welt im 21. Jahrhundert sind."

Wenn aber einer wie Friedrich Orter, der Jahrzehnte lang, getrieben und beseelt vom humanitären Humanismus der Aufklärung, mit (fast stoischer) Ruhe und Besonnenheit von den Krisenherden und Kriegsschauplätzen des Planeten berichtet hat, ganz plötzlich laut, sehr laut und sehr direkt wird, dann sagt das nicht nur etwas aus, sondern dann hat das derart Gesagte wahrhaftig Gewicht und Bedeutung. (Gregor Auenhammer, 28.11.2016)