Mit dem Fragezeichen als Schlüssel utopische Denkräume aufschließen: Július Koller (1939–2007).

Foto: Archiv Kvìtoslava Fulierová

Wien – Das Leben Július Kollers (1939–2007) dürfte ein einziges, großes Sich-Wundern gewesen sein. So jedenfalls lässt sich sein wesentliches Markenzeichen deuten: Fragezeichen. Koller hinterließ sie in Sandflächen im Stadtraum und schlitzte sie in seine Gemälde. Er stellte eine Kindergruppe für ein Foto fragezeichenförmig auf. Tatsächlich sprach er bisweilen von sich selbst als personifiziertem Fragezeichen.

Skepsis war vielleicht der stärkste Antrieb des slowakischen Künstlers. Enttäuscht von der Niederschlagung des Prager Frühlings mitsamt der Hoffnung auf einen "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" 1968, entwickelte er als Malereistudent eine Antihaltung, die er zeitlebens pflegte. Es ist das moderne Konzept der "Andershaftigkeit" der Kunst, das Kollers vielgestaltiges OEuvre aus Malerei, Fotografie und Interventionen zusammenhält.

Darein eintauchen kann – und sollte – man im Wiener Mumok. One Man Anti Show heißt jene Ausstellung, die (nach einer schlicht ? benannten Schau in Warschau 2015) erstmals im großen Stil den Nachlass eines der wichtigsten osteuropäischen Postavantgardisten aufarbeitet. Schon der ironische Titel der von Georg Schöllhammer, Kathrin Rhomberg und Daniel Grún kuratierten Schau mag dabei klarmachen: Kollers Gegenhaltung war nicht destruktiv. Der allumfassende Zweifel zielte auf eine bessere Zukunft ab, auf eine "neue kosmohumanistische Kultur", wie der Künstler es ausdrückte.

In diesem Sinne ist auch sein Konzept der "universell-kulturellen futurologischen Operationen" – kurz Ufo – zu verstehen. Unter diesem Label realisierte Koller viele seiner Aktionen, die jeweils ausgehend vom Alltag auf das Schaffen neuer "kultureller Situationen" abzielten, auf die Öffnung utopischer Denkräume.

Merkwürdige Fundstücke

Sich selbst stilisierte er dafür zum "Ufonauten", etwa in einer gleichnamigen Fotoserie. Ab 1970 ließ sich Koller einmal jährlich auf seinem Balkon ablichten, wobei er oft Objekte der Kultur in Händen hielt: ein Tate-Modern-Sackerl etwa, einen Teppichpracker, eine Brezel. Der markant befremdete Gesichtsausdruck, die längste Zeit umrahmt von Hornbrille und Vollbart, vermittelt dabei tendenziell das Gefühl, hier halte ein Außerirdischer seiner Heimbasis merkwürdige Fundstücke vom Planeten Erde zur Evaluation hin.

Das Ziel von Kollers Infragestellungen war dabei nicht zuletzt die Kunst selbst, und zwar nicht nur der sozialistische Realismus, sondern auch die zeitgenössische Avantgarde. Leer, zahnlos, zu formalistisch schien sie ihm, vor allem aber zu elitär. Der Antiprofessionalist arbeitete lieber mit Kindern und Amateurkünstlern, gab Workshops und verlegte jahrelang eine entsprechende Zeitschrift.

Der Kunstszene präsentierte Koller derweil "Antihappenings" oder "Antibilder": Er hängte leere Rahmen auf, verpackte Bilder in Stoff, malte auf Pappe statt auf Leinwand. Als Material wählte er vielfach die "Antifarbe" Latexfarbe, um von der Metaebene aus Popkultur und Kunst seiner Zeit zu kommentieren. Abseits davon rief er unter anderem einen Ausstellungsraum ins Leben, für den er zwar Einladungen verschickte, den es jedoch gar nicht gab. Seine fiktive "Galéria Ganku" war nach einem unzugänglichen Berggipfel benannt.

Die Idee des "Ufonauten", des verwunderten Besuchers von außen, griff Hermann Czech in seiner Ausstellungsarchitektur für das Mumok auf: mit improvisiert wirkenden, nur hingestellten Schautafeln. Eine Installation Johannes Porschs vermittelt indes ein Gefühl für die große Produktivität Kollers: Zeitungen, Magazine, Notizen, Fundstücke aus dem 150.000-teiligen Archiv Kollers, zeigen, dass für ihn Kunstmachen tatsächlich dem Atmen gleichkam.

Ein Schlüssel zur One Man Anti Show ist schließlich aber auch eine Reihe von Tischtennistisch-Objekten, mit denen man sich günstigstenfalls sportelnd auf die Schau einstimmt: Seit Koller 1970 statt einer Galerie-Personale ein Tischtennisturnier hatte stattfinden lassen, begleitete ihn das Spiel mit den federleichten Bällen als Symbol für einen zwanglosen Austausch zwischen Menschen. Der Mensch ist eben, so könnte sich der Ufonaut mit Schiller gedacht haben, nur dort ganz Mensch, wo er spielt. (Roman Gerold, 29.11.2016)