Statt eines "zögerlichen Versuchs" brauche es eine eigene Lehre. "Im Bereich E-Commerce ist ein hohes Maß an Spezialisierung notwendig", sagt Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverband Österreich. Es gäbe hier nicht genügend gut ausgebildete Menschen. Wirtschaftskammer und Arbeiterkammer kontern die Kritik, indem sie auf das Modul "digitaler Verkauf" in der bestehenden Ausbildung hinweisen: Dessen Implementierung wurde im Juli beschlossen und soll 2021 evaluiert werden.

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Die Digitalisierung verändert den Handel grundlegend: Die stationären Flächen gehen zurück, gekauft wird immer stärker im Internet. Dadurch wandeln sich auch die Anforderungen an die Beschäftigten, es braucht neue Fähig- und Fertigkeiten. Der Handelsverband Österreich fordert daher einen eigenen Lehrberuf für E-Commerce, wie Geschäftsführer Rainer Will gegenüber dem Radiosender Ö1 erklärte. Rund 16.000 Lehrlinge bilde die Branche derzeit aus – auf die digitale Zukunft würden sie aber unzureichend vorbereitet, kritisiert Will im Gespräch mit dem STANDARD. "Wenn man sich unsere Lehrpläne ansieht, dann steht da noch: Heben und Tragen von Lasten bis fünf Kilo, ständiger Kundenkontakt."

Derzeit kein geeignetes Personal

Wirtschaftskammer und Arbeiterkammer kontern die Kritik, indem sie auf das Modul "digitaler Verkauf" in der bestehenden Ausbildung hinweisen: Dessen Implementierung wurde im Juli beschlossen und soll 2021 evaluiert werden. Für Will geht das allerdings zu langsam und auch nicht weit genug. Statt eines "zögerlichen Versuchs" brauche es eine eigene Lehre. "Im Bereich E-Commerce ist ein hohes Maß an Spezialisierung notwendig", sagt Will. Derzeit würden "Händler händeringend nach qualifiziertem Personal" suchen. Finden sie ein solches nicht in Österreich, fürchtet Will, könnten sie ausgebildete Lehrlinge aus Deutschland nachfragen.

Dort geht im Jahr 2018 nämlich ein eigener Beruf "E-Commerce-Kaufleute" an den Start. Das Thema sei "zu tief und zu breit", um in es einfach in bestehende Ausbildungen zu integrieren, sagt dazu Martin Groß-Albenhausen, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des E-Commerce-Verbandes, zum STANDARD. Die neue Ausbildung werde also Schwerpunkte wie Online-Shop-Systeme, Online-Markting, Datenschutz und Datenanalyse behandeln. Sie wird drei Jahre dauern und einem Qualifikationsniveau vier gemäß dem Europäischen Qualifikationsrahmen entsprechen.

Welche Fertigkeiten es braucht

"Das braucht es auch in Österreich", sagt wiederum Handelsverbandschef Will. Auszubildende müssten – im Unternehmen wie in der Berufsschule – lernen, Shop-Management-Systeme zu betreiben und weiterzuentwickeln sowie Onlineshops zu bewirtschaften. Ebenfalls wichtig sei zu wissen, wie man Ware online präsentiert.

Eine nötige Fertigkeit werde darüber hinaus sein, Waren- und Dienstleistungssortimente zu strukturieren und zu entwickeln, "den Einkauf zu unterstützen".

Ein weiterer Schwerpunkt einer E-Commerce-Lehre müsse der Kundendialog mittels neuer Kommunikationstechniken wie Messenger-Dienste oder Chatbots sein. Ein "Riesenthema" seien auch Krisenmanagement auf Social-Media-Kanälen und die Frage, wie man am besten mit einem Shitstorm umgeht. "Das wird zwar nicht der Lehrling lösen, aber er kann vielleicht etablierte Führungskräfte wachrütteln und Möglichkeiten aufzeigen", sagt Will. Auch Kundenservice und Kundenbindung funktionierten online anders.

Ebenso auf dem Lehrplan stehen müsste Stornomanagement. "Über die Hälfte des Online-Verkaufs geht zurück", sagt Will. Weitere E-Commerce-Themen seien Sicherheit, Datenschutz und die Wirtschaftlichkeit von Bezahlsystemen. "Da geht es um Themen wie Bonitätsprüfung oder Kaufabbruch." Instrumente des Controllings im Onlinevertrieb müssten ebenso gelehrt werden wie Datenanalyse. Wesentlich sei schließlich auch "ein berufsbezogenes Fachenglisch".

Digitales ist "cool"

Ein Lehrberuf E-Commerce würde bei den jungen Digital Natives gut ankommen, ist Will überzeugt. "Die Jungs und Mädels finden Digitales cool."

Auch das Berufsimage könnte profitieren, Besserqualifizierte sich wieder für eine Lehre im Handel interessieren. Aktuell gebe es nämlich das Problem, dass viele offene Lehrstellen nicht besetzt werden können – weil den Bewerbern die nötigen Grundkompetenzen fehlten. "Viele gute Leute gehen derzeit an weiterbildende Schulen. Denn sie wissen, dass eine Einzelhandelslehre in ihrer jetzigen Form ihnen nicht die zukunftsnötigen Fähigkeiten vermittelt", sagt Will. Mit einer spezifischen Ausbildung für Online-Verkauf in der Tasche sei man flexibler, könnte mit seiner Expertise auch in einem Start-up arbeiten. In Deutschland sollen laut E-Commerce-Verband "konservativ geschätzt" 1000 Lehrlinge einen Ausbildungsvertrag erhalten. (Lisa Breit, 9.12.2016)