Raymond Pettibons Kommentar zu den Folterskandalen von Abu Ghraib: "Why we hate them so" (2005).

Foto: Stefan Altenburger Photography Zürich

Salzburg – Wenige Chronisten vergaßen festzuhalten, welch verhaltene, stille Persönlichkeit der US-Zeichner Raymond Pettibon ist. Und in welchem krassen Gegensatz seine spröde Art zu sprechen zu seinen beredten, an der Comickunst geschulten Zeichnungen steht. Sie sind bisweilen mit Text überzogen, bersten vor Aperçus und Wortspielen, zitieren eloquent Pop- und Hochkultur, bilden ein Gewitter der Poesie.

Darein begibt man sich derzeit in der Ausstellung Homo Americanus im Salzburger Museum der Moderne (MdM) – einer Retrospektive, die in Anbetracht der kürzlich erfolgten Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten denkbar gut getimt ist. Es sind die Schattenseiten, ja die Untiefen unter dem sogenannten "amerikanischen Traum", aus denen sich die expressive Bilderwelt des 1957 in Kalifornien geborenen Pettibon im Wesentlichen speist.

"It's like hitting my wife", sagt der Baseballspieler

Bibeln, Waffen, Erektionen, Gewalt geben sich hier ein fröhliches Stelldichein. Die Story vom Tellerwäscher, der Millionär werden kann, scheint nach außen gestülpt, zerlegt, zur Kenntlichkeit neu zusammengefügt in immer neuen Variationen. Brisant etwa in der Misogynie eines Baseballspielers, dem die Worte "It's like hitting my wife" in den Mund gelegt sind. Harmloser vielleicht im Bild eines dem Betrachter frontal entgegenkommenden Dampfzugs, Symbol der Pioniere des 19. Jahrhunderts: "Just what I've been waiting for".

Wiewohl nun derlei Momente der Schau bündig wiederzugeben sind, könnten sie auch in die Irre führen. Die mehr als 500 Exponate der Ausstellung – vor allem Zeichnungen, aber auch Plattencovers, Flyer, Zines – hauen einem nämlich alles Mögliche um die Ohren, aber selten eindeutige Botschaften. Nach seinen Anfängen als Comickünstler und Illustrator des Punk- und Hardcore-Underground, entkoppelte Pettibon ab den 1980er-Jahren nämlich Text und Bild zunehmend, erfreute sich an der sich auftuenden Vieldeutigkeit.

Ein Superheld aus Plastilin

Eine Idee von Pettibons Herangehensweise mag seine Figur Gumby geben: ein wandelnder Streifen grünen Plastilins, der eigentlich aus einer TV-Animationsserie der 1950er-Jahre stammt. In seiner Aneignung "schickt" Pettibon diesen flexiblen Superhelden in (allzu) große Erzählungen wie James Joyce' Ulysses oder Mein Kampf, wo sich der anarchische Patzen daran macht, die Handlung zu beeinflussen. In Pettibons ziemlich freien Variationen von Bibelszenen etwa äußert Gumby Jesus gegenüber seinen Unglauben und schafft sich in der Genesis seine Freundin "Goo" – ein Slangwort für Ejakulat – gleich selbst.

Auf ganz ähnliche Weise wie Gumby ist Pettibon selbst der Wurm im glänzenden Apfel des amerikanischen Mythos, schreibt bohrende, oft drastische Fragen in die übermächtige Erzählung hinein. Ziel seiner Dekonstruktion sind dabei auch Subkulturen wie die Hippies oder die Surfer. In beeindruckenden Großformaten erscheinen Letztere, auf übermächtigen Wogen, meist ziemlich verloren in ihrem Enthusiasmus, die Naturgewalten zu beherrschen.

Am Ende der Poesie

Strukturiert hat Kurator Ulrich Loock die MdM-Ausstellung etwa nach Sujets wie "Atompilze", "Die Bibel" oder "Das Schwert aus der Wolke". Neben den frühen Werkserien Pettibons rückt die Schau schließlich aber auch eine Verschiebung in den Fokus, die ab 2000 einsetzte. Ziemlich entschieden ist nämlich Pettibons Meinung gegenüber dem Eingreifen der USA im Mittleren Osten, gegen George W. Bush, aber auch Barack Obama, unverhohlen die Kritik am sogenannten "Krieg gegen den Terror".

In einer Darstellung Bushs mit blutüberströmten Händen fordert dieser "Gimme Ten!". Es waren aber auch der Folterskandal von Abu Ghraib und das Verhalten des Militärs gegenüber Frauen, die für Pettibon plötzlich die Haltung der Ironie, der Poesie unmöglich machten. (Roman Gerold, 5.12.2016)