Dass es bei den Grünen nach dem Wahlsieg von Alexander Van der Bellen einen Richtungsstreit gebe, weisen diese, je nach Gemütsverfassung, empört, genervt oder gelangweilt zurück. Ist aber so. Man muss das allerdings nicht unbedingt als Richtungsstreit benennen. Es ist eine Diskussion darüber, wie sich die Partei inhaltlich, personell und atmosphärisch aufstellen soll. Diese Auseinandersetzung wird von manchen mit Inbrunst, von anderen sehr pragmatisch geführt. Man muss auch nicht mit politisch abgegriffenen Zuschreibungen wie links oder rechts operieren: Es geht darum, wie sich die Grünen ausrichten wollen, um bei den nächsten Wahlen reüssieren zu können, und was sie aus dem letztendlich sehr erfolgreichen Wahlkampf ihres ehemaligen Chefs lernen können.

Der Zuspruch, der von der SPÖ, den Neos, aber auch von großen Teilen der ÖVP in die Wahlbewegung von Van der Bellen hineingeschwappt ist, war aus grüner Sicht wohltuend, ist aber trügerisch. Viele Funktionäre hatten sich in der Wohlfühlblase, die rund um Van der Bellen aufgepumpt worden war, behaglich eingerichtet. Da müssen sie wieder raus.

Die Gegnerschaft zu Norbert Hofer und der FPÖ war logisch und motivierend. Die Hetze konnte man mit ehrlicher Empörung ablehnen. Der europäische Einigungsprozess war im Widerspruch zur FPÖ ein hehres Ziel, dazu sang man lauthals "I am from Austria". Kontroversielle Themen blieben ausgespart, eine inhaltliche Auseinandersetzung fand nicht statt. Am Schluss sagte Van der Bellen: "Wir haben gewonnen." Schön war das. Schunkeln in der politischen Mitte.

Und jetzt? Daraus müsste sich doch etwas machen lassen. Mehr als die 13 Prozent, die zuletzt auf Bundesebene möglich waren. Dazu fehlt den Grünen aber die charismatische Führungsfigur, hinter der sich eine breite Bewegung abseits des Funktionärsapparats versammeln könnte. Und der Gegner. Den haben sich andere bereits hergerichtet.

Nach wie vor ist die FPÖ das allgegenwärtige politische Feindbild. Wie die Nachwahlanalyse zeigt, war das verbindende Hauptmotiv der Van-der-Bellen-Wähler aller Coleurs die Verhinderung des freiheitlichen Kandidaten. Im Kampf gegen Heinz-Christian Strache werden die Grünen bei einer Nationalratswahl aber bestenfalls eine Nebenrolle spielen. Diese Auseinandersetzung hat die ÖVP soeben aufgenommen – mit oder ohne Sebastian Kurz als Spitzenkandidat. Diesen Infight wird auch Kanzler Christian Kern mit aller Vehemenz austragen – auch wenn seine Strategie derzeit noch etwas diffus ist.

Also müssten die Grünen auf eigene Stärken und nicht bloß auf das Verdammen der FPÖ setzen. Ob diese Stärken jetzt in der politischen Mitte oder in einem linken Populismus zu finden sind, ist eigentlich sekundär. Das ist eine Frage der Rhetorik.

Von Van der Bellens Wahlkampf können die Grünen die Professionalität in der Umsetzung von Bildern übernehmen. Anders als bei der Präsidentschaftswahl muss die Partei aber auch inhaltlich wieder sichtbar werden. Dazu braucht es Themen: Gerechtigkeit, die Kluft zwischen Arm und Reich, eine Ökologisierung der Wirtschaftspolitik, die Grenzen des Wachstums, Arbeitsplätze, Sicherheit. Über die Schwerpunktsetzung und eine pointierte Zuspitzung wird parteiintern immerhin diskutiert. Jetzt braucht es noch eine Linie. Die Richtung sollte klar sein: raus aus Blase. (Michael Völker, 12.12.2016)