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Gemeinsames Bangen um den Zusammenhalt Europas: Die Achse von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Martin Schulz ist bald Geschichte, weil der EU-Parlamentspräsident im Jänner abtritt.

Foto: REUTERS/Yves Herman

Reguläre Tagungen des Europäischen Rates sind normalerweise den 28 Staats- und Regierungschefs vorbehalten. Nur der Chef der Kommission, Jean-Claude Juncker, und auch der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, sind bei den vertraulichen Beratungen anwesend – neben den Zuarbeitern von Ratspräsident Donald Tusk.

Dass die Regierungschefs ratsfremde Experten oder Politiker einladen, etwa Zentralbankchef Mario Draghi oder Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, kommt vor. Wohl noch nie aber hatte je ein hoher Vertreter einer Millionenstadt die Gelegenheit, Europas Führungszirkel die Lage in seiner Kommune zu erläutern. Das geschah am Donnerstag in Brüssel in Person eines "Bürgermeisters" von Aleppo, der im Exil lebt.

"Er hat in dramatischen Worten die Lage geschildert", berichtete Schulz nach der Sitzung, die schwerpunktmäßig künftiger Sicherheitspolitik im Inneren der Union wie nach außen gewidmet war. Nun wurde sie jedoch von der humanitären Katastrophe in der zerbombten Metropole überschattet, vom "Massaker, das wir anprangern", wie Frankreichs Staatspräsident François Hollande sagte.

Man sei sich einig gewesen, dass im Moment alles zurückgestellt werden müsse, um die Evakuierung der Zivilbevölkerung aus Aleppo, die medizinische und sonstige Versorgung zu garantieren, hieß es. Für Sanktionen gegen Russland in diesem Zusammenhang oder große politische Lösungen sei nicht die Zeit.

Dass die aktuellen Krisen die politische Agenda in der Union vollkommen im Griff haben, das hatte der Kommissionschef bereits am Abend davor in einem ZDF-Interview eingeräumt, nicht nur in Syrien, sondern auch bei der Asyl- und Flüchtlingspolitik. "Es brennt an allen Ecken und Enden", so Juncker, der aber darauf verwies, dass die EU sich beim Syrien-Konflikt darauf beschränken müsse, diplomatische Lösungen zu suchen. Niemand in Europa wolle Soldaten in den Krieg schicken, betonte er, dazu gebe es keinerlei Bereitschaft der Staaten.

Der Aufbau einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik soll dennoch vorangetrieben werden. Man einigte sich darauf, die Anstrengungen zu verstärken, parallel zur engen Kooperation der EU-Staaten in der Nato. Entgegen britischen Einwänden soll ein eigenes Lagezentrum, ein zivil-militärisches Hauptquartier in Brüssel, entstehen. Ein Fonds mit 50 Millionen Euro wird aufgelegt. Die nationalen Armeen sollen bei der Ausrüstung eng zusammenarbeiten, EU-Truppenkontingente sollen entstehen, die Militärhaushalte auf zwei Prozent des BIP erhöht werden. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel betonte, gemeinsame Sicherheit schließe auch den Schutz der Außengrenzen bzw. dem Kampf gegen illegale Migration und Schlepper ein.

Der Gipfel nahm den Bericht der Außenbeauftragten Federica Mogherini zu Fortschritten bei der Vereinbarung von Migrationspartnerschaften mit afrikanischen Staaten – Niger, Nigeria, Senegal, Mali und Eriträa – zur Kenntnis. Sie sollen im Gegenzug zur Rücknahme illegaler Migranten Finanzhilfen bekommen.

Kern um Mäßigung bemüht

Eine Einigung gab es zum Assoziierungsabkommen mit der Ukraine: Es wird betont, dass dies nicht zu EU-Beitrittsverhandlungen führen müsse, die Niederlande ziehen ihre Einwände zurück. Die EU-Sanktionen gegen Russland werden, wie berichtet, um sechs Monate verlängert.

Kein Thema war der Stopp der Verhandlungen mit der Türkei. Kanzler Christian Kern bestätigte am Rande, dass Österreich prinzipiell dabei bleibe, dass die Beitrittsgespräche gestoppt werden sollten, schränkte aber ein: "Es ist kein Signal der Stärke, auf Dauer Blockadeübung zu betreiben, sondern Mehrheiten zu finden." Solange dies "nicht gelingt, haben wir die europäische Situation zur Kenntnis zu nehmen". (Thomas Mayer aus Brüssel, 15.12.2016)