Hochsensitiven fällt es schwerer als anderen Menschen, Geräusche und Stimmen beim Arbeiten auszublenden. Sie gelten auch als besonders lichtempfindlich.

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Als Kind habe sie am liebsten im Wald mit Bäumen gesprochen. Im Gymnasium meist nur aus dem Fenster geschaut. Dass sie nicht ist wie alle anderen, sei ihr immer schon bewusst gewesen, sagt Manuela Mätzener. Die Unternehmerin zählt sich zur Gruppe der "Highly Sensitive Persons", der hochsensitiven Personen (HSP). Gemeinsam mit Sabine Knoll (Journalistin) und Marion Ziegelwanger (Texterin) – beide ebenfalls HSP – veröffentlichte Mätzener ihre Erfahrungen nun in einem Buch. Darin finden sich auch Interviews mit anderen Hochsensitiven.

Hochsensitivität ist keine Krankheit, sondern eine Eigenschaft: HSP nehmen ihre Umwelt besonders intensiv wahr und denken außergewöhnlich viel darüber nach. Das liegt daran, dass sie Reize anders verarbeiten, sagt die US-Psychologin Elaine N. Aron, die den Begriff prägte. Bei Hochsensitiven gelangen weniger Reize in die bewusste Wahrnehmung – was zu ebenjenem intensiveren Erleben führt, erklärt wiederum Günther Possnigg, Therapeut und Facharzt für Neurologie und Psychiatrie in Wien.

Keine anerkannte Definition

Etwa jeder Fünfte bis Vierte ist HSP, schätzt Possnigg. Eine wissenschaftlich anerkannte Definition des Phänomens gibt es bisher allerdings noch nicht. Der Neurologe führt das darauf zurück, dass die Forschung dazu noch ganz am Anfang steht. "Wahrscheinlich deshalb, weil es von den meisten Menschen als Überempfindlichkeit abgetan wird", sagt Possnigg gegenüber dem STANDARD.

Wie man also erkennen soll, dass man hochsensitiv ist? Knoll, Mätzener und Ziegelwanger legen eine Checkliste zum Selbsttest vor. Bei einigen der Kriterien würden wohl nur Roboter als unsensibel gelten, etwa: "Ich bin und arbeite gerne in einer ruhigen, entspannten Umgebung." Andere sind spezifischer: "Genussmittel (wie Kaffee und Alkohol) wirken besonders stark auf mich."

Erst wenn mehrere Kriterien zutreffen, sei die Wahrscheinlichkeit für Hochsensitivität groß, schreiben die Frauen. Darum, eine weitere Schublade für Menschen zu schaffen, gehe es ihnen nicht – vielen Betroffenen helfe es schlichtweg, endlich eine Erklärung für Eigenheiten, die sie an sich bemerken, zu haben.

Sich selbst kennenlernen

Im Job wie im täglichen Leben seien diese Eigenheiten Fluch und Segen zugleich. Hochsensitive könnten etwa mit Lärm schlecht umgehen. In der Mittagspause würden sie sich meist lieber zurückziehen.

Wichtig sei zunächst, sich und seine Bedürfnisse verstehen zu lernen, "zu erkennen, was man braucht", sagt Mätzener, um sich "dann ein entsprechendes Arbeitsumfeld zu suchen". HSP bevorzugten einen Arbeitsplatz, der möglichst lärm- und geruchsarm ist, zugfrei, gut temperiert und angenehm beleuchtet. Meist fühlten sie sich in kooperativen Strukturen wohler als in hierarchischen. Zeitdruck belaste sie extra. Sie seien ungeduldig und schneller "angrührt", weil sie Spannungen eher als andere Menschen spüren.

Als HSP gelte es darum "sich Strategien zu überlegen, wie man robuster wird und die Sensitivität so einsetzen kann, dass sie zu einer Stärke wird", sagt Neurologe Possnigg. Ihre Feinfühligkeit befähige diese Menschen zur Empathie, dazu, aufmerksam zuzuhören, zu verstehen und zu ermutigen, sagt Mätzener. Deshalb wählten Hochsensitive meist Professionen mit vielen sozialen Komponenten: Alten- oder Behindertenbetreuung oder Psychotherapie. Ebenfalls typische Berufe seien kreative wie Designer, Fotograf, Grafiker und Musiker. Aber auch im Gewerbe und Handwerksberufen gebe es Hochsensitive. Ebenso unter Unternehmern, Bankern oder Politikern. "Hier ist Intuition gefragt", sagt Mätzener. (Lisa Breit, 19.12.2016)