Die jährlichen Einkommenszuwächse der Arbeiter lagen seit 1998 nur in fünf von 17 Jahren über der Inflation.

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Wien – Wenn der Rechnungshof seinen jährlichen Einkommensbericht vorlegt, ist Wehklagen vorprogrammiert. Die nackten Zahlen haben es tatsächlich in sich: Die Österreicher verdienten inflationsbereinigt 2015 weniger als 1998, und netto ist der Rückgang mit vier Prozent noch größer als brutto. Dazu kommt das Auseinanderklaffen der Schere zwischen Niedrig- und Topverdienern. Und die beträchtliche Differenz zwischen Männer- und Fraueneinkommen wird auch nicht wirklich kleiner.

Allerdings hängt bei derartigen Untersuchungen das Ergebnis stark davon ab, was anhand welcher Kriterien gemessen wird. So stellt der Bericht des Rechnungshofs auf den Median der Einkommen ab: Dabei kommt ein Wert heraus, bei dem die eine Hälfte der Österreicher mehr, die andere weniger verdient. Stark nach unten gedrückt werden die Ergebnisse durch die wachsende Zahl der Teilzeitbeschäftigten. Obwohl auch deren Einkommen deutlich gestiegen sind, führt der enorme Zuwachs dieser Gruppe zu einem Rückgang des mittleren Verdienstes aller Österreicher.

Mehr Teilzeitkräfte

Ein Blick in die einzelnen Kategorien verdeutlicht das, wobei aus methodischen Gründen (u. a. wegen der Umstellung auf Vertragsbedienstete, die davor als Angestellte erfasst wurden) der Zeitraum ab 2004 für eine Betrachtung herangezogen wird. In den zwölf folgenden Jahren stieg die Zahl der Vollzeitbeschäftigten um knapp sieben Prozent auf 2,1 Millionen Personen.

Viel stärker legten die ganzjährig beschäftigten Teilzeitkräfte zu, nämlich um rund 50 Prozent auf 846.000. Ihr Lohnzuwachs fiel – etwas überraschend – mit einem Plus von 40 Prozent (ohne Berücksichtigung der Inflation) ebenfalls größer aus als jenes der Vollzeitbeschäftigten (31,5 Prozent). Nach Abzug der Teuerung bleibt letzterer Gruppe ein Einkommenszuwachs von sechs Prozent, bei Teilzeitbeschäftigung fällt die Steigerung entsprechend höher aus.

Geleistete Stunden fehlen

Unter dem Strich haben beide großen Gruppen in den vergangenen zwölf Jahren ihre Einkommenssituation real verbessert. Eine große Schwäche hat das Zahlenwerk des Rechnungshofs freilich: Es berücksichtigt die geleisteten Stunden nicht. Würden Teilzeitbeschäftigte länger arbeiten als 2004, wäre ihr tatsächlicher Verdienst weniger stark gestiegen (oder sogar gesunken). Umgekehrt könnte das Einkommensplus noch größer sein, sollten heute weniger Stunden geleistet werden als zu Beginn der Periode.

Während diese offenen Fragen bei der Teilzeit keine seriöse Bewertung erlauben, sei die Einkommensentwicklung bei Vollzeit "durchaus zufriedenstellend", resümiert dazu der Verteilungsexperte Wilfried Altzinger von der Wirtschaftsuniversität Wien.

Atypisch

Er weist noch auf einen weiteren Haken hin, der zur Bestimmung eines klaren Bildes erforderlich wäre: Neben Voll- und Teilzeit spielen atypisch Beschäftigte eine immer größere Rolle. Zu den 846.000 ganzjährig Teilzeitbeschäftigten kommen noch einmal rund 870.000 Personen hinzu, die nur befristet oder geringfügig beschäftigt sind (allerdings wird der Begriff weit gefasst, auch Probezeit gilt als befristeter Vertrag). Allein das Medianeinkommen der 250.000 geringfügig Beschäftigten spricht mit nicht einmal 3500 Euro im Jahr Bände.

Auch die Kategorie der gut 800.000 Selbstständigen zeigt die Schattenseiten des Arbeitsmarktes: Die ausschließlich vom Unternehmertum lebenden Personen kommen lediglich auf einen mittleren Jahresverdienst von knapp 11.400 Euro. Für Altzinger zeigt dieser niedrige Wert, dass einst Angestellte in die Selbstständigkeit gedrängt wurden und werden. Etwas besser stellt sich die Situation dar, wenn alle Einkommen der Unternehmer berücksichtigt werden, also auch unselbstständige Tätigkeiten. Die mittleren Einkünfte steigen dann auf 22.183 Euro im Jahr. (Andreas Schnauder, 21.12.2016)