Die Briten, nicht zuletzt ihre Regierungen, glänzen vor allem durch gutes Marketing. Mag hinter den Kulissen auch alles in Trümmern liegen: Auf der Bühne werden normalerweise viel kluge Kompetenz und perlende Beredsamkeit vermittelt. Normalerweise.

Der Brexit ist alles – nur nicht normal. Ein halbes Jahr nach der knappen Entscheidung für den EU-Austritt können nicht einmal die Londoner Marketingkünstler ihren Trümmerhaufen verbergen. Premierministerin Theresa May gibt sich gegenüber dem Parlament, dessen Souveränität doch angeblich wiederhergestellt werden soll, auf beinahe unverschämte Weise wortkarg. Floskeln wie das zum Erbrechen erprobte "Brexit bedeutet Brexit" sowie die neue Variante "Verhandlungen sind Verhandlungen" ersetzen eine ernste, erwachsene Debatte über die Zukunft des Landes. Die hat es vor dem Referendum nicht gegeben – nur Lügen und Angstparolen.

Die Volksvertreter haben bei ihrer kürzlichen Abstimmung deutlich gemacht, dass sie nicht an der grundsätzlichen Entscheidung rütteln, sondern über den zukünftigen Kurs mitreden wollen. Die Regierung hat genug damit zu tun, den Mangel an Expertise und schierer Manpower in der Beamtenschaft auszugleichen. Im neuen Jahr täte May daher gut daran, ihren Kurs zu ändern und das Parlament beim Wort zu nehmen.

Dass Großbritannien am Ende die EU verlässt, bezweifeln nur noch die Träumer. Für das Königreich und seine 27 Partner sollte es darum gehen, einen möglichst konfliktfreien Modus Vivendi zu finden. Einstweilen deutet nur wenig darauf hin. Bisherige Äußerungen aus Brüssel zeugen entweder von einem vollkommen unangemessenen Bestrafungswunsch – als hätten die Briten eine Todsünde begangen – oder von genervtem Unwillen, sich des Problems anzunehmen. Beides ist nachvollziehbar, aber falsch.

Umgekehrt täte die britische Regierung gut daran, ihren Bürgern endlich einmal unangenehme Wahrheiten zu sagen. Dazu gehört, was alle ernsthaften Ökonomen sagen: Die Wirtschaft auf der Insel und damit auch die Staatsfinanzen werden in den kommenden Jahren leiden. Dazu gehört auch eine alte Erfahrung von Diplomaten: Verhandlungen mit befreundeten Staaten führt man nicht, indem man sie mit arroganten Maximalforderungen oder alberner Geheimniskrämerei verärgert.

2017, im neuen Jahr, dürften die Briten die negativen Folgen der Brexit-Entscheidung zu spüren bekommen. Viele Politikbeobachter erwarten dann einen Gesinnungswandel des Wahlvolkes – und in dessen Folge ein Aufweichen der Regierungspositionen. Mindestens genauso wahrscheinlich ist aber auch das Gegenteil: dass die für ihre Sturheit bekannten Briten erst recht auf eine harte Trennung vom Brüsseler Club zusteuern.

Die nationalistischen Medien des Landes und die von ihnen abhängige Premierministerin werden dafür natürlich Brüssel, Berlin und die anderen Mitgliedsländer verantwortlich machen. Wie eine in die Enge getriebene Londoner Regierung engen Verbündeten die eigenen Fehler in die Schuhe schiebt, konnte man 2003 im Vorfeld des Irakkriegs studieren. Theresa May und ihre Konservativen werden der perfiden Demagogie, mit der damals Frankreich für Tony Blairs gescheiterte UN-Diplomatie verantwortlich gemacht wurde, um keinen Deut nachstehen. (Sebastian Borger, 23.12.2016)