Kerry warnte Israel eindringlich davor, die Besetzung des Westjordanlands "permanent" werden zu lassen. Aber die israelische Rechte sieht die israelische Präsenz dort eben nicht als "Besetzung".

Foto: APA/AFP/PAUL J. RICHARDS

Washington/Wien – Ein mehr als einstündiger Auftritt des US-Außenministers, um das Abstimmungsverhalten seines Landes bei einer UN-Sicherheitsratsresolution zu erläutern: Die Rede John Kerrys von Mittwoch als bloßes Plädoyer zugunsten einer Zweistaatenlösung im Nahen Osten darzustellen wäre eine ziemliche Untertreibung. Kerry tat einen Schritt, der die israelische Aufregung verständlich macht. Er listete minutiös auf, was sonst in der internationalen Diplomatie über Israel eher hinter verschlossenen Türen gesagt wird. So etwas steht etwa in den vertraulichen EU- Berichten aus Ostjerusalem – aber nicht in einer Rede des amerikanischen Außenministers.

Es ging der US-Regierung von Barack Obama, die am Freitag im Uno-Sicherheitsrat eine israelkritische Resolution nicht verhindert, sondern sich der Stimme enthalten hat, nicht nur um die Kritik an den Siedlungen. Kerry machte in der Aufzählung seiner Beobachtungen klar, dass die USA einen Prozess erkennen, der letztlich zur Annexion des Westjordanlands oder Teilen davon durch Israel führen könnte. Das läuft der jahrzehntelangen US-Politik zuwider. Ein Satz Kerrys sticht besonders hervor – den jedoch der nächste US-Präsident, Donald Trump, eher nicht unterschreiben würde: "Keine der von Israel vorgenommenen Änderungen der 1967er-Linie (Grenze bis zum Sechstagekrieg, in dem Israel das Westjordanland und andere Gebiete eroberte, Anm.) wird von der internationalen Gemeinschaft anerkannt werden, wenn ihnen nicht beide Seiten zustimmen."

Keine Veränderung

Tatsächlich ist richtig, was Kerry in seiner Rechtfertigung vorbrachte: Die Uno-Sicherheitsratsresolution 2334 ist keine Veränderung oder Verschärfung des völkerrechtlichen Standpunkts, dass das Westjordanland, inklusive des annektierten Ostjerusalem, von Israel "besetzt" ist. Aber Israel sah sich dennoch auf dem Weg nach mehr Akzeptanz seiner Haltung, dass es sich nicht um besetztes, sondern um "umstrittenes" Gebiet handle. Zwar haben US-Präsidenten immer wieder Uno-Sicherheitsratsresolutionen zum Nahostkonflikt durchgelassen – unter George W. Bush gleich sechs, wie Kerry in seiner Rede anführte. Aber Kritik an den Siedlungen in Resolutionsform wurde von den USA für kontraproduktiv gehalten. Angesichts der Fakten im Westjordanland hat die Obama-Regierung diesen Vorbehalt nun fallenlassen.

Denn nicht nur die quantitative, auch die qualitative Entwicklung der Siedlungen spiegelt für Kerry die Abkehr von der Zweistaatenlösung wider: Er führte an, dass es immer mehr Siedler östlich der von Israel gebauten Sicherheitsbarriere gebe; dass der Siedlungsbau im Jordantal vorangetrieben werde; dass bei den Siedlungsaußenposten, die früher auch nach israelischem Recht illegal gewesen seien, der Zug in Richtung Legalisierung fahre; dass die Demolierungen palästinensischer Strukturen zunähmen; dass die Zone C, deren brachliegende Teile bisher als mögliches palästinensisches Entwicklungsgebiet gegolten haben, immer mehr von Israel beansprucht werde.

Der problemgebeutelte Netanjahu, der den ultrarechten Mitgliedern seiner Regierung oft außenpolitischen Pragmatismus entgegensetzte, schien zuletzt in dieser Beziehung schwächer zu werden. Vielleicht dachte er tatsächlich, Obama würde auf den Paukenschlag verzichten, der seine Regierung – die in acht Jahren keine einzige israelkritische Resolution zugelassen hat – als israelfeindlich in die Geschichte eingehen lassen würde. Kerry selbst merkte in seiner Rede ja auch an, dass der US-Schritt vielleicht ohne Wirkung bleiben werde. Warum sich dann den Ärger antun? Trump ante portas scheint Obama aber generell dazu zu animieren, noch einmal "unsere Werte" (Kerry) Revue passieren zu lassen.

Schatten über den Erfolgen

Für Netanjahu ist die Sache auch deshalb lästig, weil sie einen Schatten über die Erfolge seiner Diplomatie beim Ausbau bilateraler Beziehungen mit einzelnen Ländern – auch arabischen – betrifft. Die internationale Gemeinschaft hätte demnach mit der Resolution klargemacht, dass "Israel" wirklich nur innerhalb der 1967er-Grenzen akzeptiert ist – beziehungsweise dass alle Änderungen dieser Grenze, zu denen es bei einer Lösung ja zweifellos kommen wird, von beiden Seiten verhandelt werden müssen.

Kerry formulierte sechs Prinzipien: Sie sind nicht neu, und auch die Palästinenserführung muss noch einen weiten Weg gehen, bis sie etwa internalisiert – beziehungsweise öffentlich zugibt –, dass es keine Rückkehr der Nachkommen von Flüchtlingen nach Israel geben wird. Aber das ist ohnehin alles nur pure Theorie. Auch von der Pariser Konferenz von Mitte Jänner sind keine konkreten Auswirkungen zu erwarten. Die USA sind draußen. (Gudrun Harrer, 29.12.2016)