Im Graubereich zwischen Figur und Architektur: die in der Secession gezeigten Abstraktionen der Künstlerin Avery Singer.

Foto: Sophie Thun

Wien – Die Secession setzt auf Kontraste. Parallel zu einer feingliedrigen, organisch anmutenden Miniaturgemäldeserie von Francis Alÿs im Hauptraum (DER STANDARD berichtete) werden im Untergeschoß technoide Großformate von Avery Singer gezeigt: Bilder, die nicht durch den Pinsel, sondern in einer 3-D-Software am Computer entstehen und anschließend per Airbrush und aufwendigem Schabloneneinsatz flächig auf die Leinwand übertragen werden.

Als Vertreterin einer "Malerei", die keine Berührungsängste mit digitalen Technologien kennt, hat die 1987 in Brooklyn geborene Künstlerin eine eigenständige visuelle Sprache gefunden. Wiederkehrend darin sind mehr oder weniger abstrakte, rohe 3-D-Geometrien, die oftmals gebrochen erscheinen, insofern Schatten auf sie fallen, die auf Nicht-Computergeneriertes verweisen.

Skulpturale Abstraktionen aus der 3-D-Software

Ein zentral platziertes Bild zeigt etwa eine grob aus Quadern zusammengebaute, auf dem Bauch liegende Figur, die vom Schatten eines nicht unmittelbar zu sehenden Blätterdachs überzogen ist. Die Natur darf in der digitalen Welt nur Schatten sein – so ließe sich die Aussage dieses Bildaufbaus lesen.

Die Idee, abstrakte 3-D-Figuren in mitunter kunsthistorisch vorbelastete Szenen zu setzen, bemühte Singer, die auch Bildhauerei studierte, schon früher. Unter Titeln wie Studio Visit (2013) oder Happening (2014) dienten ihre Figuren etwa der Verballhornung von Klischees des Kunstbetriebs.

Die Arbeiten in der Secession geben nun zwar die Lust am Referenzieren nicht auf – immer wieder zitieren Singers Abstraktionen etwa die Skulptur des Konstruktivismus –, sind aber mehr auf die Conditio humana des Informationszeitalters gemünzt. Bezeichnend der Umstand, dass eine lesende Figur bei ihr nicht in ein Buch, sondern auf einen Tabletcomputer schaut. Wenn Singer ihre Personale Sailor nennt, dann ist es wohl nicht falsch, dieses Bild auf den modernen Menschen zu übertragen, der auf einem endlosen Datenmeer dahinnavigiert.

Wenig Verlockung zum zweiten Blick

Und vielleicht ist es ja das Gefühl für dessen Orientierungslosigkeit, das einem die raumnehmende Bildserie im hinteren Teil der Galerie geben soll. Singer treibt darin die Abstraktion ihrer Figuren respektive Architekturen noch weiter, während bläuliche Schimmer für einen etwas klischeehaften "Cyberspace"-Touch sorgen. Gleichzeitig sind Bezüge zu digitalen Bildverfahren überdeutlich gemacht, wo Singer die Ästhetik von Bildschirmfehlern zitiert oder à la Zoomwerkzeug eine Vergrößerung als Bild im Bild zeigt. Übersicht stellt sich im technoiden Dickicht oft erst auf den zweiten Blick ein, zu dem die teils eher spannungslos komponierten Bilder allerdings nicht unbedingt verlocken müssen.

Ähnliches gilt auch für die im ersten Raum gezeigte, jüngste Werkserie Singers. Für diese griff sie auf einen speziellen Airbrush-Druckroboter zurück. Eine bemerkenswerte Ästhetik haftet diesen Bildern zwar dadurch an, dass die gemeinhin expressiv genutzte Methode des Sprayens hier auf akkurate geometrische Linien – Diagramme oder Gitter – angewandt wird. Über die Anmutung von technischen "Demos" des Spezialroboters gelangen sie aber nicht sehr weit hinaus. (Roman Gerold, 1.1.2017)