"Die Rolle der Universitäten sollte doch eigentlich sein, das Humankapital up to date zu halten", sagt Martin Mayer. Statt "postgraduale Ausbildungen als Elitenprogramm und zwecks Drittmittelfinanzierung anzubieten" sollten die Hochschulen ihre Rolle als lebensbegleitende Weiterbildner stärker wahrnehmen.

Foto: Robert Herbst

STANDARD: Was beunruhigt Sie beim Blick ins neue Jahr?

Mayer: Das zunehmende Auseinanderklaffen von Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt.

STANDARD: Mehr als die seit Jahren beschriebene Paradoxie von angeblich kein Personal findenden Firmen und gleichzeitig wachsender Arbeitslosigkeit?

Mayer: Ja, das hat sich wesentlich verschärft: Das Gros der Unternehmen findet kaum jemanden – das zieht sich über alle Qualifikationslevels, das betrifft nicht nur Software, das reicht vom Lehrling bis zum Verkauf.

STANDARD: Weil zunehmend nur mehr Wunderwuzzis gesucht werden?

Mayer: Ich sehe zwei große Phänomene: Einerseits werden von Unternehmen Motivation und Einstellung gefordert, die viele Junge nicht aufbringen wollen oder können – Begriffe wie Leistung sind anders besetzt. 45, 50 Stunden pro Woche wollen viele einfach nicht arbeiten. Gleichzeitig haben sich die Anforderungen aber eher verschärft, auch wenn davor das Mascherl einer Work-Life-Balance hängt. Ältere, also 45+ sind vielfach ausgebrannt, mit privaten Themen – etwa Scheidung – beschäftigt, erschöpft, finden in den gefragten Skills den Anschluss nicht. Dazu kommt auch das Phänomen der Erbengeneration: Ich bemerke, dass 50-Jährige sich selbst herausnehmen, gar nicht mehr auftauchen. Das sind auch die Erben, die quasi aussteigen. Die Summe dieser Entwicklungen wird sich wirtschaftlich für das Land nicht günstig auswirken.

STANDARD: Noch einmal zurück zu den Qualifikationen: Sie meinen das Digitale?

Mayer: IT wird sehr oft noch als Abteilung gesehen statt als Bestandteil von allem, und meine Kunden erwarten eigentlich in jeder Position, auch im Marketing, dass mit den Mechanismen der Neuen Medien – etwa Suchmaschinenoptimierungen – umgegangen werden kann. Es ist aber auch so, dass neue Jobs eher dort entstehen, wo Erfahrungswissen aus den vergangenen Jahrzehnten nicht wirklich punkten kann.

STANDARD: Da machen es sich Unternehmen aber auch bequem – was heißt denn Qualifizieren? Weiterbildung nur auslagern? Oder alles der Eigenverantwortung der Betroffenen anheimstellen?

Mayer: Es muss eine Mischung sein. Natürlich muss sich der Einzelne auch laufend Wissen aneignen. Die 45- bis 55-Jährigen sind nicht up to date – außer sie arbeiten in einem innovativen Unternehmen, aber dann sind sie ja eh nicht am Markt. Wir haben daneben ein Heer an Hochqualifizierten aus verschiedenen Branchen – Banken und Versicherungen etwa -, denen wir aber nichts Adäquates für ihre Qualifikationen anbieten können. Ich glaube, dass die Universitäten ihre Rolle als lebensbegleitende Weiterbildner stärker wahrnehmen müssen, statt postgraduale Ausbildungen als Elitenprogramm und zwecks Drittmittelfinanzierung anzubieten. Firmen qualifizieren ja auch, so ist es nicht, aber Beschäftigungsfähigkeit als "employability" für den Arbeitsmarkt herstellen, das wird kein Unternehmen wirklich machen. (Karin Bauer, 4.1.2016)