In der Alcor Life Extension Foundation in Scottsdale, Arizona, kann man je nach Finanzkraft seinen ganzen Körper oder nur den Kopf einfrieren lassen. Derzeit lagern dort die Überreste von 149 Personen, mehr als tausend künftige "Patienten" haben sich schon angemeldet.

Foto: Alcor

Wien – Wann genau der Mensch zum ersten Mal darauf kam, die Körper verstorbener Angehöriger zu konservieren, lässt sich nicht sagen. Die südamerikanische Chinchorro-Kultur begann jedenfalls schon vor über 7.000 Jahren mit der künstlichen Mumifizierung ihrer Toten. Die ersten gesicherten Hinweise auf die Vorstellung, eine Konservierung des toten Körpers könnte ein Weiterleben nach dem Tod ermöglichen oder zumindest begünstigen, sind etwas jünger – man denke etwa an die alten Ägypter.

Die Idee, Tote bei minus 196 Grad Celsius in einem Tank mit flüssigem Stickstoff einzufrieren, ist dagegen ziemlich neu: Als "Pionier" gilt diesbezüglich der US-amerikanische Psychologe James Bedford, der nach seinem Tod am 12. Jänner 1967 zum ersten kryokonservierten Toten der Welt wurde. Mittlerweile lagern hunderte Leichen in Behältnissen einschlägiger Institute, vorwiegend in den USA und Russland. Aktuell wollen es ihnen mehrere Tausend Personen gleichtun und haben sich bereits für die postmortale Aufbewahrung angemeldet.

Sie alle sind Kryoniker. Kryos ist das griechische Wort für Kälte, und genau auf diese setzen Kryoniker ihre Hoffnung: Sie wollen so viele Körperzellen so unbeschadet wie möglich konservieren, bis die Wissenschaft eines Tages so weit sein könnte, sie aufzutauen und wieder ins Leben zurückzuholen.

Geschäft mit der Angst

Die Kryonik hat auch fünf Jahrzehnte nach dieser Premiere ihren unseriösen Ruf nicht abgeschüttelt. Wie sehr das Thema dennoch fasziniert und bewegt, macht regelmäßig Schlagzeilen. Zuletzt ist im vergangenen November nach einem Urteil des Obersten Gerichtshofs in Großbritannien eine Debatte entbrannt: Ein 14-jähriges krebskrankes Mädchen hatte sich gewünscht, nach seinem Tod für den Fall konserviert zu werden, dass es eines Tages wieder leben könnte – von Ärzten der Zukunft auferweckt und vom Krebs geheilt. Die Mutter unterstützte den Wunsch, der Vater war dagegen und prozessierte. Er vertrat den Standpunkt, die Anbieter derartiger Verfahren würden die Ängste todkranker Menschen gewinnbringend ausnutzen.

Das Gericht erteilte der Mutter das alleinige Entscheidungsrecht, das inzwischen verstorbene Mädchen wurde von einem US-Unternehmen für rund 42.000 Euro eingefroren. "Ich denke, aus Verbrauchersicht ist Kryonik verständlich, aus wissenschaftlicher Sicht ist sie derzeit sehr unwahrscheinlich. Der Mensch ist definitiv nicht dafür gedacht, eingefroren zu werden", sagt Jürgen Sandkühler, Leiter des Zentrums für Hirnforschung der Med-Uni Wien.

Anwendung im Labor

Kryokonservierung an sich ist keineswegs unseriös: In einigen medizinischen Bereichen wird das Einfrieren von Zellen oder Gewebeteilen längst erfolgreich durchgeführt, etwa zur Haltbarmachung von Ei- oder Samenzellen, die zu einem späteren Zeitpunkt zur künstlichen Befruchtung verwendet werden sollen. Selbst Embryonen können, wenn sie sehr früh entnommen wurden, über längere Zeit schadlos kryokonserviert werden.

Man darf sich das Verfahren freilich nicht als simples Einfrieren vorstellen – die Zellen würden dabei enorme irreparable Schäden erleiden. Stattdessen wird die Flüssigkeit aus den Zellen extrahiert und durch eine Art Frostschutzmittel ersetzt. Um die Bildung von Eiskristallen zu verhindern, die das Gewebe nachhaltig schädigen, wird es anschließend in flüssigem Stickstoff auf minus 196 Grad Celsius heruntergekühlt.

Geschädigte Nervenzellen

"Das geht besonders gut bei Zellen, die eine sehr hohe Reproduktionsrate haben, die sich selbst teilen und regenerieren können", so Sandkühler. Dazu zählen neben Ei- und Samenzellen etwa auch Zellen von Organen wie der Leber. Bei Nervenzellen sieht das jedoch völlig anders aus. Diese regenerieren sich gar nicht oder nur in einem extrem geringen Ausmaß.

"Zudem weisen Nervenzellen eine besondere, uneinheitliche Struktur mit feinsten Verzweigungen auf – es ist nicht möglich, alle Teile der Zelle zum selben Zeitpunkt gleichmäßig in der Temperatur zu verändern", schildert Stefan Böhm, Leiter der Abteilung Neurophysiologie und Neuropharmakologie der Med-Uni Wien. Das Ergebnis wären schwerste Schädigungen der Zellen, und selbst wenn einige davon den Prozess überlebten, würde sich ihre Funktion dramatisch verändern.

Teilkonservierung günstiger

Für die Kryonik-Anbieter, die Namen wie Alcor Life Extension Foundation oder Cryonics Institute tragen, sind solche Einwände kein Hindernis. Zwischen 25.000 und 200.000 Euro verlangen sie für das Einfrieren samt Aufbewahrung auf unbestimmte Zeit. Wer statt des gesamten Körpers nur den Kopf konservieren lässt, kommt etwas günstiger davon.

"Wir wissen nicht, welche Möglichkeiten die Zukunft bringt – aber wir wissen definitiv: Wer verbrannt oder beerdigt wird, hat ganz sicher keine Chance mehr, zurückzukommen", sagt Dennis Kowalski, Präsident des Cryonics Institute in Michigan. Dort sind derzeit 145 "Patienten" eingefroren, 1350 zahlende Kryoniker stehen auf der Mitgliedsliste, darunter auch zwei Österreicher. "Früher einmal hätte man Organtransplantationen auch als hoffnungslos und unethisch abgelehnt, heute retten sie Leben."

Sandkühler ist von dem Argument nicht überzeugt: "In der Zukunft kann man nur mehr auftauen, das Einfrieren hat schon stattgefunden. Und die Schäden, die dabei entstanden sind, sind nicht mehr reversibel." Das gilt auch für die massiven Hirnschäden, die zwischen dem Tod und der Konservierung entstehen – die meisten Kryoniker sterben schließlich nicht neben ihrem Stickstofftank.

Altes Geschäftsmodell

An seriöser Literatur zum Thema Kryonik mangelt es bisher – ist die Forschung dazu reine Zeitverschwendung? Böhm: "Grundsätzlich kann jegliche Forschung, auch wenn sie sehr utopisch ist, neue Erkenntnisse liefern." Das sieht auch Sandkühler so: "Wenn jemand zum Beispiel feststellen würde, dass alle jetzigen Einfriermethoden ungeeignet sind, wäre das ein wichtiges Ergebnis."

Dass heute – trotz aller medizinischen Gegenanzeigen – immer mehr Menschen Geld in die Kryonik investieren, ist für Sandkühler lediglich eine neue Facette der uralten Sehnsucht vom ewigen Leben: "Früher hat die Kirche ganz gut von dem Versprechen gelebt, jetzt leben eben einige Firmen gut davon." (David Rennert, 12.1.2017)