Ohne die Eltern fällt den Weißbüscheljungen das "Reden" im Erwachsenenalter schwer.

Foto: Universität Tübingen

Tübingen – "Babysprache" ist keine alleine dem Menschen vorbehaltene Erscheinung. Auch unter Affen müssen Lautäußerungen erst im Laufe der Zeit erlernt werden. Deutsche Wissenschafter konnten nun anhand von Weißbüschelaffen nachweisen, dass die Jungtiere ihre Eltern brauchen, um ihre Babylaute abzulegen und wie ihre erwachsenen Artgenossen zu kommunizieren. Als sie mehrere Affenjunge von den Eltern getrennt aufzogen, stellten sie fest, dass diese zwar die angeborenen Laute erwachsener Tiere entwickelten, diese aber dauerhaft mit typischen Vokalisationen von Jungtieren vermischten.

Eigentlich wollte das Team um Steffen Hage vom Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften (CIN) an der Universität Tübingen ergründen, wie im Gehirn Lautäußerungen produziert, kontrolliert und gesteuert werden. Dazu führen sie Verhaltensexperimente mit Weißbüschelaffen durch. Die kaum mehr als eichhörnchengroßen Tiere eignen sich für diese Forschung besonders, da sie sehr viel vokalisieren und in komplexer Art und Weise miteinander kommunizieren.

Eines der Weißbüschelaffenpaare bekam Nachwuchs, drei Jungtiere, von denen die Eltern eines nicht annahmen. Weißbüschelaffen gebären meist Zwillinge, für ein drittes Kind können die Eltern nur in Ausnahmefällen sorgen, daher kommt die Nichtannahme durchaus vor. Am CIN kümmerte sich fortan ein Tierpfleger um das dritte Affenbaby. Weißbüschelaffen sind sehr soziale Tiere und brauchen die Gemeinschaft.

Die Forscher wollten das Jungtier daher so bald wie möglich wieder mit seinen Geschwistern zusammenbringen. Nach drei Monaten waren die beiden von den Eltern aufgezogenen Jungtiere entwöhnt. Früher als sonst üblich wurden sie nun von ihren Eltern getrennt, damit die drei Affengeschwister wieder miteinander vereint werden konnten. Die so entstandene soziale Gruppe erwies sich als stabil; inzwischen sind die Tiere erwachsen.

"Babybrabbeln" im Erwachsenenalter

Yasemin Gültekin, Doktorandin in Hages Team, machte bald eine interessante Beobachtung: Die drei jungen Affen gaben noch immer typische Babylautsequenzen von sich, das sogenannte "Brabbeln". Dieses Vokalisationsverhalten zeigen Weißbüschelaffen – ähnlich wie Menschenbabys – normalerweise nur in den ersten wenigen Monaten nach ihrer Geburt. Zunächst gingen die Forscher noch davon aus, dass sich das bald geben würde, aber obwohl die Jungaffen ihrem Repertoire Erwachsenenlaute hinzufügten, blieb auch das "Brabbeln". "Offenbar brauchen die Tiere von ihren Eltern doch direktes soziales oder akustisches Feedback, damit sich ihr Vokalisationsverhalten normal entwickelt", schließt Hage.

Zuvor war das Team davon ausgegangen, dass die Vokalisationen bei Weißbüschelaffen angeboren sind, das heißt das Grundmuster der Laute entwickelt sich normalerweise ohne akustisches Feedback. Die Neurowissenschafter wollten es nun genau wissen. Als das Affenpaar erneut Nachwuchs bekam, Zwillinge diesmal, brachten sie ihre Mikrofone in Stellung. Die Vokalisationen der jüngeren Nachkommen, die auch nach dem dritten Monat wie üblich noch bei den Eltern aufwuchsen, entwickelten sich so, wie die Forscher es für Weißbüschelaffen erwarteten.

Was man wann als Erwachsener "sagen" darf

Bereits mit sieben Monaten zeigten sie keinerlei kindliche, sondern nur erwachsene Vokalisationen, berichten sie im Fachjournal "Nature Communications". Der Vergleich der insgesamt fast 14.000 aufgezeichneten Lautäußerungen der fünf Geschwister zeigt deutlich: Weißbüschelaffen lernen Fiepen, Quietschen und Keckern zwar nicht von ihren Eltern – aber sie lernen von ihnen offenbar, was man als Erwachsener wann "sagen" kann und was nicht.

Hage und sein Team zeigen sich erfreut über das Ergebnis: "Anders als Menschen und etwa Singvögel können Weißbüschelaffen zwar keine neuen Lautstrukturen lernen. Aber bei der Entwicklung des Repertoires greifen offenbar Feedback-Mechanismen, die unseren schon sehr ähnlich sind. Wir können von diesen Tieren daher auch über die menschliche Lautäußerung sehr viel lernen." (red, 22.1.2017)