"Offenbar hat Facebook seine ethische Verantwortung als Plattform vernachlässigt", kritisiert der Presserat.

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Wien – Der Presserat fordert von den Medien mehr Zurückhaltung und Respekt für die Persönlichkeitssphäre von Verbrechensopfern. Anlass dafür ist die Veröffentlichung eines Gewaltvideos auf Webseiten von verschiedenen Medien. In dem Video wird gezeigt, wie eine 15-jährige Wienerin von mehreren Jugendlichen heftig geohrfeigt wird und mehrere Faustschläge ins Gesicht bekommt. Das Opfer lässt die brutalen Attacken ohne Gegenwehr über sich ergehen.

"Facebook hat offenbar ethische Verantwortung vernachlässigt"

Das Gewaltvideo wurde zunächst auf Facebook veröffentlicht und dort über drei Millionen Mal angesehen. Der Senat 1 des Presserats bewertet es als problematisch, dass Facebook das Video erst nach Tagen und zahlreichen Beschwerden löschte.

Die Verbreitung des Videos, in dem brutale reale Gewalt dargestellt wird, stuft der Senat als unethisch ein. "Offenbar hat Facebook seine ethische Verantwortung als Plattform vernachlässigt und nicht genügend rasch und im Sinne des Schutzes Jugendlicher moderiert. Es dauerte viel zu lange, ehe das Video schließlich doch noch gelöscht wurde."

Weiterhin auf Webseiten abrufbar

Der Senat kritisiert, dass auch einige Medien das Gewaltvideo beziehungsweise Bilder daraus veröffentlichten und damit die Verbreitung des Videos prolongierten. Offenbar standen hier Überlegungen zur hohen Klickrate im Vordergrund. Nachdem "Facebook" das Video gelöscht hatte, war es weiterhin auf den Webseiten der Medien abrufbar. In der Zwischenzeit wurde das Gewaltvideo auch von den betroffenen Medien ganz oder zumindest zum Teil vom Netz genommen.

"Voyeurismus und Sensationsinteressen"

Nach Meinung des Senats wurden mit der Verbreitung des Gewaltvideos der Voyeurismus und die Sensationsinteressen mancher Userinnen und User bedient. Außerdem wurde dadurch auch in den Opferschutz des schwerverletzten Mädchens eingegriffen. Der Senat hebt hervor, dass das Opfer eine Jugendliche und daher besonders schutzwürdig ist.

Der Senat verweist darauf, dass laut Ehrenkodex der Presse Fotos, die unter Missachtung der Intimsphäre der Abgebildeten entstanden sind, nur dann veröffentlicht werden dürfen, wenn ein über das Voyeurhafte hinausgehendes öffentliches Interesse klar ersichtlich ist. Ein derartiges Interesse erkennt der Senat hier nicht.

Menschenwürde und Persönlichkeitsschutz gehen vor

Der Presseratssenat räumt ein, "dass die Diskussion über brutale Gewalt von Jugendlichen für die Allgemeinheit wichtig ist". Es bestehe auch öffentliches Interesse daran, über die Verbreitung des Gewaltvideos in den sozialen Medien zu berichten und die Verbreitung zu hinterfragen.

Aber: "Für diesen Diskurs ist es nach Meinung des Senats jedoch nicht erforderlich, das Gewaltvideo zu übernehmen. Die durch das Video vermittelte Brutalität ist erschütternd. Ein Teil der Userinnen und User mag durch das Gewaltvideo zwar wachgerüttelt worden sein. Dieser Effekt tritt jedoch gegenüber den Persönlichkeitsinteressen und der Menschenwürde des Opfers zurück. Darüber hinaus ist es auch nicht auszuschließen, dass das Gewaltvideo zu Nachahmungstaten anregt."

Facebook und klassische Medien in der Verantwortung

Bei diesem Video aus Wien-Donaustadt habe – neben der Körperverletzung selbst – die bewusste Aufnahme der Tat und ihre virale Verbreitung für Empörung gesorgt, schreibt der Presserat: "Nach Meinung des Senats hätten vor allem Facebook, aber auch die klassischen Medien von Anfang an dafür sorgen müssen, dass sich das Gewaltvideo nicht derart weiterverbreitet, um die Persönlichkeitssphäre des Opfers zu schützen. Darüber hinaus hatte die Verbreitung auch noch die Folge, dass mehrere Userinnen und User die mutmaßlichen jugendlichen Täter in Postings zu dem Gewaltvideo beleidigten und bedrohten."

Appell: "Menschenwürde genauer beachten"

Der Senat appelliert an die Medien, aber auch an "Facebook", den Persönlichkeitsschutz und die Menschenwürde von jugendlichen Verbrechensopfern in Zukunft genauer zu beachten und behält es sich vor, wegen der Veröffentlichung des Gewaltvideos oder von Bildern daraus gegen einzelne Medien medienethische Verfahren einzuleiten. (red, 20.1.2017)