Wien – Die Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) hat sich in die Debatte um Selbstbehalte bei Arztbesuchen eingeschaltet. Für sie sind Selbstbehalte nicht vorstellbar. Dies würde die Sozialversicherung infrage stellen und zu einer Entsolidarisierung führen, sagte WGKK-Obfrau Ingrid Reischl am Donnerstag.

Die Krankenkasse hatte 2015 für interne Zwecke untersucht, wie sich ein Selbstbehalt auswirken würde. Dass Kanzler Christian Kern (SPÖ) in seinem "Plan A" Selbstbehalte, etwa bei in der SVA versicherten Selbstständigen, kürzlich infrage gestellt hat, bestätigt die Wiener Kasse in ihrer Ansicht.

Heimische Patienten zahlen schon jetzt viel

Die Ökonomin und Studienautorin Agnes Streissler-Führer, seit heuer Mitglied der Bundesgeschäftsführung der Gewerkschaft der Privatangestellen (GPA-djp), untersuchte und verglich für die WGKK Gesundheitskosten in mehreren europäischen Ländern. Das Ergebnis: In Österreich seien die selbst zu tragenden Kosten mit 17 Prozent bereits jetzt höher als etwa in Deutschland oder Frankreich.

Zudem gebe es auch hierzulande den Trend weg von Selbstbehalten, verwies man unter anderem auf die Senkung der Selbstbehalte für in der BVA versicherte Beamte und Vertragsbedienstete.

Zweifel an Lenkungseffekten

Aus Sicht der WGKK hat ein Selbstbehalt übrigens keinen positiven Lenkungseffekt. Im Gegenteil: In Deutschland habe die mittlerweile wieder abgeschaffte Praxisgebühr sogar dazugeführt, dass ärmere Leute etwa Kontrolltermine bei Zahnärzten ausgelassen haben.

Streissler-Führer warnte vor "erheblichen Folgekosten" durch auf ein im ersten Blick "sparsameres Verhalten". Die WGKK ist auch aus sozialen Grünen gegen Selbstbehalte, diese würden einkommenschwächere Personen stärker treffen als Besserverdiener. Zugleich sei das Krankheitsrisiko für Ärmere generell höher.

Daneben sprächen die Administrationskosten gegen einen Selbstbehalt. Die WGKK hat sich ausgerechnet, dass von einem Selbstbehalt ab einem Nettoeinkommen von 1250 Euro monatlich nur 40 Prozent der Versicherten betroffen wären. Die Kasse würde dadurch im Jahr 20 Millionen Euro mehr einnehmen, gleichzeitig aber um 15 Millionen Euro höhere Verwaltungskosten haben.

Solidaritätsgedanke ausgehöhlt

Reischl: "Für die Gebietskrankenkasse ist das kein Modell. Die finanziellen Auswirkungen sind ein Tropfen auf dem heißen Stein. Dafür riskieren wir, dass der Solidaritätsgedanke der gesetzlichen Krankenversicherung ausgehöhlt wird." Reischl äußerte sich darüber hinaus skeptisch über die Pläne von Kern, die Rücklagen der Krankenkasse aufzulösen, um die unterschiedlichen Leistungen zu harmonisieren.

Die WGKK-Chefin meinte, es gebe andere, sinnvollere Wege, dies zu erreichen, beispielsweise durch Effizienzsteigerungen oder eine fairere Verteilung von Versicherten auf die einzelnen Krankenkassen. Reischl gestand ein, dass eine bundesweite Krankenkasse durchaus Sinn haben könnte. Das Problem jedoch sei, dass das ganze Gesundheitssystem, angefangen von den neun Ärztekammern bis hin zum Spitalswesen, "verländert" sei. (APA, 26.1.2017)