Wien – Beim Thema "singender Sex" kann sich nicht jede oder jeder gleich etwas vorstellen. Ein großer Teil der Soulmusik erfüllt diese Definition, aber vom Anbahnungsgebrumm eines Barry White oder dem Vollzugsschnurren eines Marvin Gaye ist hier nicht die Rede.

Mick Harvey ist nicht bloß an den Schweinigeleien Serge Gainbourgs interessiert. Ganz ohne wäre aber ignorant. Also wird auf dem Album "Intoxicated Women" auch lustgewandelt.
Foto: Mute Records

Es geht um dieses eine Lied, das Radiohörern einst die Schamesröte ins Antlitz zauberte, sie nötigte, an den Straßenrand zu fahren, das Fenster runterzukurbeln und sich – na ja, zu behelfen. Den Sender wechseln. Oder anderes.

Heute müsste man wahrscheinlich einen Piratensender gründen, um das Lied ins Radio zu bringen, aber als Serge Gainsbourg 1969 mit Jane Birkin "Je t'aime ... mois non plus" veröffentlichte, ging das noch. Das Lied ist zwar bis zum kleinen Tod gespielt, aber aktuell ist es Mick Harvey, der es in Erinnerung ruft und ins Deutsche übertragen hat. Dort empfängt ihn Andrea Schroeder in gestöhnter Erwartung. Mmh.

"Je t'aime ... mois non plus" eröffnet Mick Harveys neues Album. Unnötig zu sagen, dass es einen Höhepunkt markiert. Das Album heißt "Intoxicated Women" und ist der vierte Teil einer Gainsbourg-Hommage, die der australische Musiker schon in den 1990er-Jahren begonnen hat. Harvey war lange der musikalische Kopf der Bad Seeds, jener Formation, die Nick Cave zum Weltruhm begleitete. Daneben war er Mitglied von Crime and the City Solution und veröffentlichte ab 1995 einige Soloalben.

Nichts Menschliches fremd

In den Nullerjahren überwarfen sich die beiden Jugendfreunde Harvey und Cave, Harvey ist seit 2009 solo unterwegs oder führt in der Band der Polly Jean Harvey das Regiment.

Der 58-Jährige ist eine Traumbesetzung für den Gainsbourg-Job. Ein Sir einerseits, Anzugträger, Manieren, andererseits ist ihm nach bald 40 Jahren im Musikgeschäft – danke, Nick Cave – nichts Menschliches fremd.

Erweckt wurde seine Liebe für das 1991 gestorbene Multitalent Gainsbourg in den 1980ern. Damals lebte er mit dem Rest der Bad Seeds im geteilten Berlin. Ein Freund nahm ihm dort ein Tape mit Songs des Franzosen auf und zog ihn damit in ein Universum, das mehr zu bieten hatte, als die weltberühmte Stöhnnummer. Doch sogar diese war Harvey stets mehr als bloß ein Novelty-Song für das Kurzzeitgedächtnis unter der Gürtellinie.

Er widmete sich Gainsbourg mit großer Ernsthaftigkeit und übersetzte dessen Songs ins Englische. Also Teile davon, denn Gainsbourgs Gesamtwerk platzt ja aus allen Nähten. Nachdem er im Vorjahr mit "Delirium Tremens" jene Arbeit wiederaufgenommen hat, die er 1995 mit "Intoxicated Man" begonnen und nach dem 1997 veröffentlichten "Pink Elephant" auf Eis gelegt hatte, legt er nun mit "Intoxicated Women" einschlägig nach.

Mute

Das Album legt den Schwerpunkt auf die vielen Duette, die Gainsbourg gesangspromiskuitiv mit wechselnden Partnerinnen eingespielt hat: mit France Galle, Juliette Gréco und Brigitte Bardot, Jane Birkin ... Diese Kollaborationen stehen in loser Verwandtschaft zu den Saubartl-Duetten, die Lee Hazlewood Frank Sinatras Tochter Nancy auf den Leib geschrieben hat, sie sind in ihren Interpretationsmöglichkeiten jedoch mehrdeutiger als Hazlewoods Cowboy-Fantasien.

Dabei legt Harvey es nicht unbedingt darauf an, die jeweils schweinischste Auslegung der Originale zu präsentieren. Nichts ist hier zwangssechsi. Deshalb trägt er etwa ein Lied wie "All Day Suckers" allein vor. Serge Gainsbourg, der Beutel, der hat bei dieser den Freuden der Fellatio huldigenden Schlüpfrigkeit (im Original: "Les Sucettes") noch France Gall aufs Eis geschickt. Nö risk, nö fun, wie der Franzose sagt.

Weit offen

Harveys stimmungsvolle Arrangements bereichern auf "Intoxicated Women" die Stimmen von Sophia Brous, Lindelle-Jayne Spruyt und immer wieder den herben Vortrag der Schroeder. Den männlichen Widerpart gibt Harvey. Das Licht in den Songs ist gedimmt, das Hemd weit aufgeknöpft, die Stimmung stimmig. Eine Orgel bereitet manchen Titeln eine schwüle Unterlage, auf der Harvey die Sujets kredenzt.

Stellenweise nimmt er sich beherrscht zurück und lässt den Gästen den Vortritt, wie in "Puppet of Wax, Puppet of Song", den Xanthe Waite allein singt. Das Lied zieht ziemlich an, ebenso "Baby Teeth, Wolfy Teeth", in dem Sohnemann Solomon an Vaters Seite singt.

Beschwipste Damen

Von den bisher vier Gainsbourg-Alben ist keines schlecht, "Intoxicated Women" überzeugt jedoch mit Atmosphäre, einer süffigen Chronologie, die freche und schräge Popsongs und intime Balladen balanciert und von der Vielfalt der beteiligten Damen multipliziert wird. Dass diese, wie der Albumtitel suggeriert, allesamt einen kleinen Schwips haben sollen, erhöht den Charme der Resultate beträchtlich und umreißt den Zustand, in dem dieses Album vielleicht am meisten Wirkung entfaltet. (Karl Fluch, 27.1.2017)