Linien führen unter Flächen hinein, Formen scheinen sich in der Unsichtbarkeit weiter auszubreiten – im Kosmos der Malerin Svenja Deininger.


Foto: Galerie Martin Janda

Wien – Sie verstehe ihre Ausstellungen als "Sätze", sagt die Wiener Künstlerin Svenja Deininger. Die Wörter dieser Sätze sind die einzelnen Bilder; die einzelnen Laute, wenn man so möchte, sind die Formen auf ihren Leinwänden: Geraden oder sanfte, organisch wirkende Kurven, schließlich farbige oder texturierte Flächen, die von diesen umgrenzt werden.

Welch anmutige Poesie sich aus diesem überschaubaren Repertoire schaffen lässt, zeigt aktuell die Secession. Deiningers Ausstellung Echo of a Mirror Fragment ist eine von drei Personalen, mit denen man ebendort das Jahr 2017 eröffnet. Während Gabriel Sierra für die Galerie eine minimalistische Installation entwarf und Angelika Loderer das Kabinett bespielt, lädt Deininger im Hauptraum dazu ein, ihr in eine Art Spiegelkabinett zu folgen.

Das Gefühl, einer Sprache zu lauschen, ergibt sich nämlich durch die Art und Weise, wie Deiningers abstrakte Arbeiten einander "spiegeln". In Begriffen der Lyrik gesprochen, "reimen" sie sich aufeinander, zitieren einander, sei es farblich oder in der Oberflächenstruktur. Manche lassen sich bei genauerem Hinsehen als spiegelbildliche oder auf den Kopf gestellte Variationen anderer Exponate identifizieren; manche scheinen vergrößerte Ausschnitte darzustellen.

Für einen grundlegenden Gleichklang sorgt dabei nicht zuletzt Deiningers Arbeitsweise. Ihre fast reliefartigen Farbflächenkompositionen sind in Schichten gebaut, die im Arbeitsprozess nacheinander auf- und abgetragen werden. Linien führen unter Flächen hinein, Formen scheinen sich dort, in der Unsichtbarkeit, weiter auszubreiten. Tatsächlich ergeben sich viele der Gebilde, die hier den Blick verführen, erst durch Überlagerung, entstehen unbewusst, am Rande des unmittelbar Ausgedrückten.

Zwischen den Schichten, die dabei in "Dialog" treten und die Deininger, wie sie einmal sagte, in einer Art "umgekehrten Ausgrabung" auftut, liegen dabei mitunter große Zeiträume. So manche von Deiningers Leinwänden stehen lange im Atelier, bevor die Künstlerin weitere Schichten hinzufügt, wieder andere muss sie nur lange genug betrachten, damit sie sich als fertig herausstellen, weitere werden noch bearbeitet, wenn sie schon ausgestellt wurden.

Die Arbeiten in Echo of a Mirror Fragment erreichten ihre "Reife" jedenfalls innert des letzten Jahres und im unmittelbaren Hinblick auf die Secessionsausstellung. Immerhin nämlich "spiegeln" sich Deiningers neuere Arbeiten nicht nur gegenseitig, bleiben nicht im Vokabular der schönen Sprache – sie beziehen auch den Ausstellungsraum in ihr poetisches Spiel ein. Die Idee ist, das Widerspiel geometrischer und organischer Formen in den Bildern Deiningers selbst zur Spiegelung zu machen: zu einer Antwort auf den Gegensatz von klar strukturiertem White Cube und verschnörkelter Verpackung der Secession.

Zwischen den Zeiten

In der Praxis bezog Deininger also architektonisch-gestalterische Eigenheiten in ihre Bilder, in ihre Variationen und Transformationen ein, holte sie mit ins Spiegelkabinett. Eine direkte Bezugnahme sind aber auch zwei kreisrunde "shaped canvasses" (also Leinwände, die selbst einer künstlerisch gestalteten Form entsprechen) über dem Eingang: Sie markieren die Stellen zweier Fensterchen, die es hier einst gab.

Ein wesentliches Faszinosum ist aber auch, wie Deininger die Balance zwischen Abstraktion und Figuration hält: Nicht nur erinnern ihre Formen immer wieder an Typografien. Angesichts so mancher geschwungener Form meint man auch, die Nahaufnahme eines abstrakten Akts zu gewahren. Und dann ist man schon wieder verloren zwischen den Schichten, zwischen Vorder- und Hintergrund. (Roman Gerold, 1.2.2017)