Der Künstler Daniel Richter in einem Smoking und Hemd von Petar Petrov, Schuhe Zegna und Sonnenbrille Mykita. Fotografiert von Irina Gavrich.

Foto: Irina Gavrich

"Nirgendwo ist die kapitalistische Ideologie so eindeutig wie im Kunstmarkt." Daniel Richter in einem Smoking von Giorgio Armani.

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"Um zu malen, benötigt man keine besondere Intelligenz": Richter in einem Pulli vom Wiener Designer Petar Petrov.

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"Ich bin der linksgewendete Geert Wilders der Malerei": Richters Smoking und Hemd sind von Giorgio Armani, die Schuhe von Zegna, Sonnenbrille Mykita. Die Brille vorne ist von Richter selbst.

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"Die Welt macht mir Riesenspaß, ein Haufen an beknackter Scheißdreckhaftigkeit!" Richters gesamtes Outfit ist von Zegna.

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Daniel Richter hat Hunger. Es ist vier Uhr am Nachmittag, das Café Engländer in Wien ist voll besetzt, doch der Kellner sieht über den großgewachsenen Künstler hinweg. "Ich kann jetzt nicht denken", sagt der 54-Jährige, "ich brauche erst mal eine Wurst." Gemeinsam mit Neo Rauch und Jonathan Meese gehört Richter zu einer Generation figurativer Maler, die auf dem Kunstmarkt satte Preise erzielen. In Wien gab es noch nie eine Ausstellung von ihm zu sehen – und das, obwohl er hier seit elf Jahren einen Lehrstuhl innehat. Jetzt ist es so weit. Das 21er-Haus richtet ihm eine Personale aus. Auch der Kellner hat seinen Weg zum Tisch gefunden, Daniel Richter bestellt einen Topf voller Würste, dazu einen Pfefferminztee und ein Bier. Es kann losgehen.

STANDARD: Sind Sie gern in Wien?

Daniel Richter: Ja, bin ich, warum?

STANDARD: Ich frage, weil Sie lange in Hamburg gelebt haben und der Stadt wegen der dortigen Kulturpolitik den Rücken gekehrt haben. Auch Ihre Professur an der Universität der Künste Berlin haben Sie nach zwei Jahren zurückgelegt. Zu Wien scheinen Sie kein so emotionales Verhältnis zu haben.

Richter: Wien ist das bessere Deutschland. Die Wiener selbst leiden an der vermeintlichen Sentimentalität, der Nostalgie und der Rückwärtsgewandtheit der Stadt. Aber im Unterschied zu anderen Städten ist das Angebot hier wesentlich lebendiger. Die Stadt ist anders, als sie die Wiener darstellen. Hinter der Höflichkeit wird immer die Niedertracht vermutet. Aber immerhin gibt es die Höflichkeit, in Berlin finden Sie die nicht. Da gibt es nur Inkompetenz und Desinteresse. Ich ziehe einen kompetenten Schlawiner einem inkompetenten Arschloch vor.

STANDARD: Sie sind Norddeutscher. Hilft bei der Diagnose die Distanz zu dieser Stadt?

Richter: Mir sind natürlich die verschiedenen politischen Ausschläge der letzten Jahre nicht entgangen, auch die Trägheit verschiedener Institutionen. Im Unterschied zu anderen Städten fallen in Wien aber die unterschiedlichen Traditionslinien auf, die Komplexität der Stadt ergibt sich nicht daraus, dass es eine Subkultur gibt, die sich ausschließlich selbst speist, sondern sie lebt von Widersprüchen. Es gibt hier einen Underground, eine jüdische Tradition, das Rote Wien. Es gibt eine Form verqueren Klassenbewusstseins, das es in dieser Form andernorts nicht gibt. Es gibt Städte, da wollen alle gleich sein – egal ob sie arm oder reich sind, folgen sie dem gleichen Kanon, der gleichen Sülze und der gleichen Mittelmäßigkeit. Das ist hier anders.

STANDARD: Die Darstellung der hiesigen Kunstszene fällt oft wenig schmeichelhaft aus.

Richter: Städte, die etwas zu verteilen haben, bilden über die Zeit Netzwerke heraus. Die, die daran nicht partizipieren, sind darüber empört. Das ist mal gerecht, mal ungerecht. Als ehemalige Zentrumsstadt müssen junge Künstler in die große, weite Welt hinaus, dort müssen sie reüssieren, dann können sie zu Hause mit offenen Armen empfangen werden. Ansonsten muss man sie kleinhalten, sie niedermachen und begranteln. Die Wiener glauben immer, dass Neid, Missgunst und Intrige eine spezifische Eigenschaft der Wiener ist, ich habe das in anderen Städten aber nicht anders erlebt. Wenn Sie in Paris sind, ist das noch viel schlimmer, da vermengen sich bestimmte dünkelhafte Elitenphänomene mit Inkompetenz und einem riesigen Geldsack. Und der Geldsack endet immer bei Leuten, die total uninteressant sind. Das ist hier nicht so.

STANDARD: Kulturskandale wie in Wien finden Sie in anderen Städten kaum. Man denke nur an die Causa Burgtheater oder Husslein. Am Belvedere findet auch Ihre nächste Ausstellung statt.

Richter: Ich freue mich natürlich sehr über diese Ausstellung, sie ist eine Ansammlung allerfeinster Malerei in allen Themen, Farben und Formaten. Zweifellos gäbe es zur Causa Husslein einiges zu sagen. Personen im Kunstbereich sind ideale Missgunstprojektionen. Für Außenstehende ist die Mischung aus Reichtum, Aufschneiderei, Elitenbildung, dem Versprechen utopischer Möglichkeiten, wirklicher Leistung und kompletter Inkompetenz nirgendwo so verzahnt wie im Kunstbereich. Nirgendwo ist die kapitalistische Ideologie so eindeutig wie im Kunstmarkt. Aber warum sollte ich hier als Piefke über Dinge reden, von denen ich keine Ahnung habe?

STANDARD: In Deutschland machen Sie das auch gerne. Sie haben einmal gesagt: "Die deutsche Öffentlichkeit interessiert sich nicht für mich, weil ich so ein fantastischer Künstler bin, sondern weil ich die Leerstelle großmäuliger Künstler besetzen kann."

Richter: Und ich dachte, die des Hobbyintellektuellen.

STANDARD: Sie scheinen daran ein großes Vergnügen zu haben.

Richter: Ich werde gefragt, ich antworte. Das nenne ich Dienst am Kunden.

STANDARD: Zurück zu Wien: An der Akademie haben Sie seit elf Jahren die Professur für den "erweiterten malerischen Raum" inne. Ist das nicht eigenartig? Als Künstler sind Sie, mit Verlaub, über die Leinwand nie hinausgekommen.

Richter: Das stimmt. Dass ich Maler bin, hat mit einer Selbstbeschränktheit zu tun, die ich mir selbst auferlegt habe. In der Selbstbeschränkung, nur mit einem Medium zu arbeiten, liegt auch eine große Herausforderung. Wenn jemand schreibt, Graffitis macht, sich für Performances interessiert oder Musiker ist, und das hat alles nichts mit Malerei zu tun, aber es entspricht dieser Person, dann werde ich diese Person nicht auf die Malerei festnageln. Es gibt ja schon genug schlechte Malerei!

STANDARD: Sind Sie ein guter Lehrer?

Richter: Das glaube ich nicht. Tendenziell habe ich immer ein schlechtes Gewissen gegenüber den Studenten, weil ich das Gefühl habe, dass ich ihnen nicht gerecht werde. Das ist wahrscheinlich der Protestant in mir. Andererseits hatte ich viele Studierende, die mich mit richtig guten Sachen überrascht haben.

STANDARD: Sie sind selbst erst mit 30 an die Kunsthochschule in Hamburg gekommen. Sie haben gesagt, dass Sie dort sofort Alkoholiker geworden sind. "Das war nervlich nicht anders durchzuhalten."

Richter: Das war gelogen. Ich hatte die Jahre davor weder getrunken noch Fleisch gegessen. Aber als Kunststudent ist man aufgeregt, das ist ein neues soziales Feld, da trinkt man bis fünf Uhr morgens. Das ist wie bei den Burschenschaftlern. Denen sollte man das allerdings verbieten.

STANDARD: Sie waren in den Jahren zuvor Teil der Hamburger linksautonomen Szene, ein Punk. Warum wird man als Punk Kunststudent?

Richter: Ich konnte sonst nichts, Kunst konnte ich auch nicht, aber Kunst kannte ich nicht, und sie interessierte mich. Alles andere kannte ich auch nicht, interessierte mich aber nicht. Außerdem: keine reichen Eltern, keine Ausbildung, keine Matura. Bleibt nicht viel.

STANDARD: Und da haben Sie sich ausgerechnet für die Malerei entschieden?

Richter: Die Malerei ist das unaufklärerischste, vielleicht traditionell auch das revolutionärste oder grundsätzlichste Medium. Es ist das, was mir am meisten bedeutete, aus nichts etwas zu machen. Im Prinzip braucht es nur einen Bleistift und ein Blatt Papier, und dann kann man schon ohne weitere Begründung Künstler sein.

STANDARD: Sie haben immer wieder gesagt, Sie mögen die Malerei gar nicht ...

Richter: ... ich habe gesagt, ich mag es nicht, zu malen, das ist ein Unterschied. Ich versuche sehr kontrolliert zu malen, aber ich mache mich schnell schmutzig, habe immer kaputte Fingernägel, vom Terpentin tun mir die Finger weh, weil ich mich ununterbrochen waschen muss, ist doch eklig.

STANDARD: Aus der Perspektive eines Kunststudenten könnte man sagen, die Malerei sei eines der uncoolsten Kunstmedien. War Ihnen das egal?

Richter: Die Malerei oder die Kunst, wie ich sie begreife, sind nicht besonders cool. Es gibt Leute, die Reiten cool finden oder dicke Autos oder Sauna. Das ist mir alles egal. Ein Bild zu malen bedeutet, etwas zu erschaffen, das es in dieser Form nicht gibt. Etwas, das nicht rhetorisch ist, das auch keinen Sinn macht. Um zu malen, benötigt man keine besondere Intelligenz, es ist eine spezifische Betätigung, nach deren Sinn ich gar nicht frage. Der große Unterschied zur Fotografie ist der, dass das Bild zwar erkennbar ist, aber nicht wiedererkennbar im Sinne des Abbildes. Aber vielleicht ist das Manko der Malerei – ihre Obsoletheit – ihre Stärke. Egal ob Jackson Pollock, Giotto, Marlene Dumas oder Asger Jorn: Malerei findet zwar in einer bestimmten Zeit statt, man ist jedoch nicht wie bei einer Performance oder einem Film in eine bestimmte Liturgie eingebunden. Malerei zu betrachten ist wie ein kontemplativer Akt ohne Zeitvorgabe.

STANDARD: Liegt der Reiz der Malerei in ihrer Offenheit, im freien Flottieren der Zeichen? Man muss sich auf nichts festlegen, kann immer auch das Gegenteil behaupten?

Richter: So würde ich das nicht nennen. Es gibt auch in der Malerei Verbindlichkeiten, es gibt auch dort reaktionären Stuss oder ästhetische Erkenntnis. Die Frage nach der Malerei ist wie die Frage: Wozu ist Kunst da?

STANDARD: Kunst wird selten infrage gestellt, die Malerei hat es in der Kunstkritik dagegen oft schwer.

Richter: Das stimmt doch nicht für die gesamte Kritik. Das Video, die Performance, der Interventionismus: Sie haben alle ihre Blessuren davongetragen. Natürlich ist eine Arbeit von Hito Steyerl moderner, radikaler und aufklärerischer als das, was Malerei je sein kann. Aber es ist eben auch keine Malerei. Aus dieser Position ist Malerei wahrscheinlich verkalkt. Aber ist mir doch egal!

STANDARD: Sie gelten als politischer Künstler ...

Richter: ... soll ich sagen: Nein, das ist ein Missverständnis, ich bin ein unpolitischer Mensch, es geht mir nur um die Schönheit der Malerei?

STANDARD: Sie haben öfters betont, es gehe nicht um den Inhalt von Bildern, sondern um die Wahl der Mittel.

Richter: Das stimmt ja auch. Das ist kein Widerspruch. Ein schlechtes Bild, das gut gemeint ist, bleibt ein schlechtes Bild. Wenn ein Bild ein gutes Bild ist, ob das jetzt ein Stillleben ist oder ihm, wie in meinem Fall, ein Interesse an paradoxen Bilderproduktionen innewohnt, dem Ausspielen von Form versus Inhalt, dann hat das Bild gewonnen. Jede Kunstproduktion, die interessant ist, trägt einen Widerspruch in sich. Ich glaube nicht an einen Elfenbeinturm.

STANDARD: Was kann politische Kunst leisten? Sie haben einmal gesagt: Jeder, der ein Saatgutprojekt in Indien betreibt, tut mehr als jemand, der sich in seiner Kunst mit dem Postkolonialismus beschäftigt.

Richter: Das denke ich auch heute noch. Wenn man versucht, in seinem Bereich etwas Richtiges und Vernünftiges zu tun, heißt das noch lange nicht, dass es mehr ist als eine Predigt zu Konvertierten.

STANDARD: Sie haben in der Vergangenheit stark mit Allegorien, Narrationen, auch mit politischen Statements gearbeitet. In Ihrer letzten Werkgruppe sind Sie sehr abstrakt geworden. Was ist da passiert?

Richter: Es ist mir langweilig geworden. Die wesentliche Überlegung dieser Bilder speist sich aus Bildersystemen, die immanent politisch sind. Wenn Leute vor den Bildern stehen und die Formen der Entwicklung darin genießen, dann ist mein Ziel erreicht. Wenn andere darin eine Auseinandersetzung mit kartografischen Systemen sehen, die mit Verdrängung, Verschiebung, Inversion und Exkulpation zu tun haben, ist das auch okay. Aber am Ende muss das Bild in seiner Zeit wirken und nicht als in Worte übersetzbare Metapher gelesen werden können. Diese Vagheit und Präzision zusammen nennt man Malerei.

STANDARD: Konkrete politische Inhalte lassen sich dann aber doch besser vermitteln. Auf dem Ausstellungskatalog zu Ihrer Schau im Belvedere prangt ein Flüchtlingsboot ...

Richter: ... weil ich Populist bin. Ich bin der linksgewendete Geert Wilders der Malerei. Ups: Das habe ich nicht gesagt, sonst werde ich zitiert, und dann stecke ich in der Scheiße. Nein, im Ernst: Populismus ist mir zutiefst zuwider. Ich bin Künstler, weil ich allen gegenüber skeptisch sein kann.

STANDARD: Angesichts der sich verschärfenden politischen Zustände stellt sich die Frage, wie die Kunst darauf reagieren kann.

Richter: Donald Trump als das zu entlarven, als das er von allen bereits entlarvt wurde? Das kann doch nicht die Aufgabe von Kunst sein! Ich mache viele politische Grafiken, die interessieren zwar niemanden, die mache ich in erster Linie um der Erkenntnis willen. Da beschäftige ich mich mit den Widersprüchen, die es innerhalb des eigenen Anspruchs an die Welt gibt. Nicht nur die anderen sind miese, opportunistische, raffgierige Schweine, sondern man ist das selber auch. Warum man selber besser sein sollte, das muss man begründen können.

STANDARD: Nach dem Schwenk hin zu abstrakten Szenerien: Wie malen Sie jetzt?

Richter: Supergut gelaunt. Die Welt macht mir Riesenspaß. Was da gerade los ist, ein Haufen an beknackter Scheißdreckhaftigkeit, dass man vor Begeisterung in die Hände klatschen muss! Das mache ich auch den ganzen Tag. Klatsch, klatsch, klatsch, dann greife ich zur Farbe, klatsch, klatsch, klatsch, dann höre ich Nachrichten, dann bin ich schon wieder so aufgeregt, das ist eine Riesengaudi! (Stephan Hilpold, RONDO, 2.2.2017)