Detailbetrachtung einer von Bertolt Brecht entworfenen Gedenkstätte für Buchenwald: Marcel Odenbachs Installation "Beweis zu nichts" studiert die Zeichensprache.

Foto: Marcel Odenbach & BILDRECHT GmbH, 2017, Courtesy Galerie Gisela Capitain, Köln und Anton Kern Gallery, New York

Wien – "Darf ein Mahnmal gemütlich sein?" – Diese Frage, die gegen Ende des Films Im Kreise drehen von Marcel Odenbach auftaucht, erinnert an die Diskussionen rund um das Holocaust-Denkmal in Berlin. Vor allem Touristen dienen die Stelen dort bekanntlich immer wieder als Sitzplätze, wo man auch mal ein lustiges Selfie macht. Am Umgang mit der Vergangenheitsbewältigung im Nachkriegsdeutschland interessiert, hat sich der 1953 in Köln geborene Künstler mit Denkmälern für die von den Nazis ermordeten Juden, ihrer Form, aber auch ihrem Einfluss auf das kollektive Gedächtnis befasst.

Im Falle des Films Im Kreise drehen (2009) steht die Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Majdanek im polnischen Lublin im Zentrum. Zunächst tastet die Kamera langsam das im sozialistisch-futuristischen Stil entworfene Ufo-förmige Betonmonument ab. Für was es steht, lassen nach und nach Textfragmente erahnen, aber auch Aufnahmen aus dem Warschauer Ghetto, die Odenbach darübergeblendet hat.

Doppelte Böden

Eine Art Aktualisierung oder auch Vergegenwärtigung des Gedenkens gelingt dem Künstler mit zwei jungen Männern, die das Mahnmal begehen, während er im Video Deutschstunde (2006) Schüler Ausschnitte aus jüdischen Biografien vorlesen lässt.

Marcel Odenbach, der in seiner Ausstellung Beweis zu nichts in der Kunsthalle Wien neben Bewegtbildern auch Collagen zeigt, baut in seine Arbeiten immer wieder solche doppelten Böden, potenzielle Reflexionsebenen ein: seien es die Schüler, die im Video Deutschstunde die Erinnerungsarbeit leisten, oder die drei Migranten, denen man im Video Im Schiffbruch nicht schwimmen können (2011) beim Reflektieren ihrer Geschichten zusieht.

Die afrikanischen Männer sitzen im Louvre vor dem Gemälde Das Floß der Medusa von Géricault, das den Überlebenskampf nach dem Schiffbruch der Medusa zeigt, die zur Übernahme Senegals entsandt worden war.

Offene Verbindungen

Das Video, in dem jeweils nur ein knapper Satz von den heutigen Fluchtmotiven erzählt, steht insofern beispielhaft für Odenbachs Œuvre, als dieser Zusammenhänge zwar aufmacht, deren Interpretation jedoch den Zusehern überlässt: hier jene zwischen der Kolonialgeschichte Europas und den heutigen Fluchtbewegungen, dort jenen zwischen Bertolt Brecht, einem Mahnmal und Ingeborg Bachmann, die Brecht für ihre Nachkriegslyrik bewundert – der ihre Gedichte genau deswegen auch "korrigiert" hat.

Gleich zu Beginn des Rundgangs ist ein solches von Brecht verknapptes Gedicht Bachmanns groß aufgezogen: kurz und bündig (2016) hat Odenbach die Arbeit genannt, die gleichzeitig darauf hinweist, dass man die erste Beschäftigung mit den Nazi-Gräueln den Literaten verdankt.

Brecht hat 1952 mit dem Bildhauer Fritz Cremer außerdem eine Gedenkstätte für Buchenwald entworfen. Sie war an Die Bürger von Calais von Rodin angelehnt. In der Zwei-Kanal-Videoinstallation Beweis zu nichts lässt Odenbach den Betrachtern einmal mehr sehr viel Zeit, die Gesichter und Gesten dieser Figuren genau zu studieren. Ihre martialische Ausstattung mit Gewehren und Fahnen allerdings irritiert; ähnlich wie die kaum von der NS-Architektursprache abweichende Anlage.

Genozid in Ruanda

Dass es dem Künstler immer wieder um ein solches Erkennen durch bewusstes Hinschauen geht, wird angesichts seiner Collagen noch direkter deutlich: Durchblicke (2007) heißt etwa ein mehrere Meter langes Bild, auf dem man einen dicht wuchernden Dschungel sieht. Erst wenn man näher herantritt, sieht man Bilder von Sklaven, Kolonialisten oder reichen afrikanischen Diktatoren, die so freilich kein sehr stringentes Geschichtsbild vermitteln.

Was den Kolonialismus und das Grauen betrifft, geht der Film In stillen Teichen lauern Krokodile (2002/2004) tiefer: Odenbach thematisiert in der Doppelprojektion den Genozid in Ruanda und hält mit Bildern der paradiesischen Landschaft, der hetzerischen Radiopropaganda, mit Archivaufnahmen brutaler Zusammenstöße oder auch den rosa Hemden der später verurteilten Mörder nicht zuletzt das tatenlose Zuschauen des "Westens" bei einem der jüngeren Verbrechen gegen die Menschlichkeit fest. (Christa Benzer, 6.2.2017)