STANDARD: Sie arbeiten als Beraterin für ein neues Verständnis der Personalarbeit (Human Resources, HR). Worum geht es?

Adams: Es geht um ein fundamentales Umdenken in der Beziehung zwischen Organisationen und ihren Leuten, und damit um ein fundamentales Umdenken der Rolle der HR. Die traditionelle Sicht dieser Beziehung behandelt Mitarbeiter wie unmündige Kinder, die entweder geschützt oder kontrolliert werden müssen. Das alles geschieht mit einer Unzahl von Regeln, Vorschriften, wohlgemeinten Empfehlungen und paternalistischen Benefits wie etwa "Dress-down-Freitagen". So ist auch das gesamte individuelle Entlohnungssystem mit finanzieller Belohnung für besonderes Wohlverhalten aufgesetzt. Wir schicken alle durch dieselben Kurse und Trainings, egal, was die Leute schon können, wie sie lernen und was sie längst verstanden haben. Wir lassen sie Arbeitsverträge mit dutzenden Regeln und Sanktionen bei Verstößen unterschreiben. Grundlage dafür ist immer das angenommen Schlimmste, das 0,1 Prozent der Leute auch machen – 99,9 Prozent aber niemals. Das infantilisiert und verärgert die Menschen. Und noch viel schlimmer: Das schafft ein Klima, in dem Menschen unfähig gemacht werden, Autoritäten herauszufordern, ihre Stimme zu erheben, Neues zu probieren, Risiken einzugehen. Wir behandeln Mitarbeiter wie unmündige Kinder und beklagen uns dann, dass sie sich auch so benehmen.

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STANDARD: Mach, was dir angeschafft wird, sonst ...

Adams: Schlimmer noch: Man soll warten, bis einem gesagt worden ist, was zu tun ist. Wie passt das denn mit der Herausforderung in der großen Transformation zusammen, die nach Kreativität, mehr und anderer Produktivität verlangt, damit Firmen zukunftsfähig sind?

STANDARD: Wie passt das zu den Slogans "Mitarbeiter sind unser höchstes Gut", "Mitarbeiter sind unser größtes Asset"?

Adams: Was für schreckliche Phrasen! Güter und Assets sind Gebäude, Waren, Computerausstattung – nicht Menschen. Wir müssen endlich Mitarbeiter wie Menschen behandeln in der Organisation, in der HR: Mitarbeiter sind keine homogene Gruppe, über die wir wissen, was sie kostet und was sie bringt, sondern sie sind Individuen, die individuell auf Umstände und Herausforderungen reagieren. Das ist, was wir wissen müssen über Menschen. Es ist ja sehr erstaunlich, dass wir über Konsumenten Dinge wissen und erforschen, die sie selbst über sich noch gar nicht wissen. Über Mitarbeiter wissen wir, wo sie sitzen und was sie verdienen. HR-Leistungen müssen ebenso wie für Kunden gedacht und aufgesetzt werden: Was sind die einzigartigen Fähigkeiten? Wie will er oder sie arbeiten, wie gelingt diese Arbeit jeweils am besten?

STANDARD: Das benötigt nicht nur mehr individuelles Herangehen, das braucht auch mehr Freiheit.

Adams: Ja natürlich. Die Menschen haben ja einen Hausverstand. Wieso dürfen sie den nicht benützen? Unser Herangehen wird der menschlichen Komplexität nicht gerecht. HR war viel zu lang verliebt in Prozesse, weil sie skalierbar, monitorbar und kosteneffizient sind. Das wird Unternehmen allerdings nicht anpassungsfähig in der sogenannten VUCA-Welt (volatile, uncertain, complex, ambiguous) machen. Es frustriert lediglich.

STANDARD: Dazu kommt wohl auch noch die Kategorisierung in sogenannte High Potentials und in "die anderen" ...

Adams: Eine vollkommen sinnlose Übung. Wir müssen mit diesen Ratings aufhören und stattdessen nach den individuellen Stärken sehen. Ich habe mich mit den High-Potential-Programmen, die ich in die Welt gebracht habe, nie wirklich wohlgefühlt. Es gelingt damit nicht einmal, die aktuelle Performance zu beschreiben, geschweige denn Potenzial sichtbar zu machen. Aktuelle Studien zeigen auch, dass über 70 Prozent solcher Programme weder einen Effekt auf das Geschäft haben noch einen Return-on-Investment bringen. Fragt die Leute doch einmal pro Woche, wie es ihnen geht, was sie gern tun, was sie noch oder anders tun wollen.

STANDARD: Noch einmal zurück zur Entlohnung: Ihr Credo ist ja auch, dass Geld (über eine faire Bezahlung hinaus) falsch ein gesetzt wird als Motivator. Was wäre angemessener?

Adams: Gebt den Menschen Freizeit. Die Chance, etwas zu lernen, das nicht direkt mit dem Job verzweckt ist. Ein handschriftliches "Danke" vom Chef. Die Möglichkeit, karitativ zu arbeiten. Ein persönliches Geschenk. Sichtbarkeit in der Organisation für besondere Leistungen – und wenn, dann einen Bonus, der wirklich etwas verändern kann im Leben.

STANDARD: Welche Rolle hat HR gegenüber den Chefs?

Adams: Ich bin überzeugt davon, dass wir den Leadern helfen müssen, in der Arbeit menschlicher zu sein. In allem. In der Sprache, im Verhalten, im Zugang. Das Vertrauen in Führung ist allen Umfragen zufolge auf einem Tiefpunkt. Da kommen wir nur mit Menschlichkeit heraus, nicht mit noch mehr Versatzstücken eines Business-Automaten.