Alfons Schilling war berühmt für seine Bearbeitungen von Fotografien. Durchblick in die dritte Dimension: Alfons Schilling im Selbstporträt mit Rasterlinse in einem Hologramm von Ana Maria Nicholson, 1986.

Foto: Galerie Westlicht
WestLicht & WestLicht Photographica Auction

Wien – Alfons Schilling war Maler, Medienkünstler, Filmemacher, Lehrer und ein früher Aktionist. Und ja, auch Fotograf. Als solcher wollte er allerdings nicht bezeichnet werden. Die Ergebnisse seiner Arbeiten mit Kameras waren für ihn mehr als "nur" Fotos, sie sollten die Grenzen der gängigen Lichtbildnerei sprengen.

Beyond Photography nennt das Fotomuseum Westlicht denn auch die Ausstellung von Werken des aus der Schweiz stammenden Künstlers Schilling (1934-2013). Sie zeigt, wie er auf immer neue Weise erforschte, was "hinter den Bildern" ist: Wie können sie Bewegung zeigen, wie die Dreidimensionalität der Welt? Welche Rollen spielen Augen – eines oder beide – und Gehirn beim Zustandekommen eines Abbilds? Schilling arbeitete an diesen Fragen experimentell und nahm damit die heutige Technik der erweiterten Wirklichkeit und des Cyberspace künstlerisch vorweg.

Wunderkammer des Sehens

Rebekka Reuter und Fabian Knierim, die Kuratoren der Schau, sind im umfangreichen Werk Schillings in praktisch allen Stationen seines Schaffens fündig geworden: als er nach dem abgebrochenen Studium der Malerei an der Angewandten in Wien – und nach Arbeiten mit Günter Brus – mit "Rotationsbildern" bekannt wurde, den Ergebnissen von Farbauftrag auf einer sich immer schneller drehenden Scheibe; als er ab 1962 ein Vierteljahrhundert lang in New York lebte; als er, wieder in Wien, lehrte und weiter an den Grenzen zwischen "Ich/Auge/ Welt" forschte – so der Titel einer der ihm gewidmeten Retrospektiven, 1997 in Krems.

Dem Besucher eröffnet sich eine Wunderkammer des Sehens. Da sind etwa die Hommagen an Eadweard Muybridge. Wo dieser Bewegungsabläufe in Momentaufnahmen zerlegt hatte, fasste Schilling solche Bewegungen in einem multiplen Rasterbild zusammen; im Vorbeigehen entsteht also im Bilderrahmen ein Kürzestfilm.

Oder die seinerzeitigen Guckkästen, mit denen man aus parallelen Papierbildern drei Dimensionen simulieren konnte: Schilling baute sie zu größeren, in der Ausstellung rekonstruierten Apparaturen um, und er steuerte eigene Arbeiten jenseits der traditionellen Bilderwelt bei – aus einem gemalten scheinbaren Fleckerlteppich wird bei richtigem Durchblick ein halbabstrakter 3-D-Akt. Seine metergroßen "Sehmaschinen", die man sich umschnallen kann, waren ebenfalls Erweiterungen menschlicher Wahrnehmung im Sinne McLuhans – und Vorläufer der gegenwärtigen Augmented-Reality-Brillen.

Multimediale Bühne

Schilling experimentierte mit Rasterlinsen, mit Vielfachbelichtungen, mit Kino- und Amateurfilmformaten. Er verfremdete, was er bei den Protestdemonstrationen in Chicago 1968 sah, zu gespenstischen, halbabstrakten Tableaus. Gelegentlich machte er auch "nur" Fotos, etwa von Begegnungen an einem einzigen Tag. Gegen Ende seiner Laufbahn kehrte er sogar zur Malerei zurück, nun allerdings in Form von "Schmierereien", die er mit Fotos zu Collagen vereinte.

Die Schau wird dem kaum einzuordnenden und in seinen theoretischen Äußerungen eher wirren Künstler gerecht, sie ist selbst eine multimediale Bühne, zu der man immer wieder neue Anläufe nehmen kann. Der sorgfältig edierte Katalog hat ein Rasterbild auf dem Cover und eine stereoskopische Brille für die 3-D-Bilder beigefügt: Einstiegshilfen für einen lohnenden Besuch. (Michael Freund, 17.2.2017)