Egon Schiele "Sitzender weiblicher Akt mit aufgestützten Ellbogen", 1914.

Foto: Albertina

Egon Schiele "Der Maler Max Oppenheimer", 1910.

Foto: Albertina

Egon Schiele "Zwei Freundinnen", 1915.

Foto: Szépmüvészeti Múzeum, Budapest

Egon Schiele "Sitzender weiblicher Rückenakt mit rotem Rock", 1914.

Foto: Albertina

Wien – Mit Beschönigung hatte Egon Schiele (1890–1918) nichts am Hut. In einer Zeit, da sich der Jugendstil an die umfassende Ästhetisierung der Lebenswelt gemacht hatte, brach er in Sphären jenseits verklärenden Glanzes und floraler Ornamentik auf. Blüten treiben, wenn man so will, zwar auch seine Körper; aber hier sind es Auswüchse, die auf Defekte verweisen, auf die Hinfälligkeit der Kreatur Mensch.

Schonungslos und obsessiv stellte Egon Schiele auch seinen eigenen Körper dar. Dieses "Aktselbstbildnis" entstand 1916.
Foto: Albertina

Was der illusionslose Blick des Expressionisten auftat, jene deformierten, buchstäblich von innerer Zerrissenheit gezeichneten Körper, kann Betrachter bis heute nicht unberührt lassen. Davon kann und sollte man sich aktuell in der Wiener Albertina einmal mehr überzeugen. Zwölf Jahre nach der letzten Schau widmet man sich dort nun mit 160 Arbeiten dem Zeichner Schiele.

Ängstliche, verlorene Blicke erreichen einen da aus den Bilderrahmen, in denen ausgezehrte, makelvolle Figuren ausgesetzt wirken. Die knochigen Gliedmaßen sind oft in die Länge gezogen, die Haut stellenweise aschfahl. In intensiven Porträts und Akten umreißt Schieles meisterhafte, unzweideutige Linie Ungeheures, die entblößte Wahrheit.

Vor allem gilt dies freilich für die Akte, die den Künstler manisch umtrieben. Knallrot leuchtend setzen sich darin Genitalien oder Lippen von den fahlen Körpern ab, wie Wunden. Nichts Unernstes hat die Sexualität hier wie etwa noch bei Klimt. Sie erscheint eher als Symptom der unheilbaren Krankheit Leben.

Egon Schiele "Auf dem Bauch liegender weiblicher Akt", 1917.
Foto: Albertina

Die Erotik, die sich in diesen Bildern entfaltet, ist doppelbödig. Denn sicher, da ist die Entrücktheit der Masturbierenden und der Paare. Stets schwingt aber auch das Wissen mit, dass das mit der Vereinigung letztlich wieder nicht hingehaut haben wird. Wie eine Marionette hängt der Künstler in einem Selbstporträt mit seiner Ehefrau in deren Armen, verheddert, doch unfähig zur Verschmelzung. Hier ist "am Ende des Tages der Mensch allein", so Klaus Albrecht Schröder, Direktor der Albertina und Kurator der Schau.

Mit der aktuellen Ausstellung möchte er denn auch gegen das seiner Einschätzung nach immer noch wirkende Klischee von Schiele als Pornografen vorgehen. Weder in den Erwachsenen- noch in den (vollends zwiespältigen) Kinderakten stehe nämlich die Sinnlichkeit im Vordergrund, sondern in erster Linie der auf sich selbst zurückgeworfene Körper.

Ins Leere gehende Gesten

Ja, alles ist hier dem Menschen radikal infrage gestellt, woran er sich gegen die Unwägbarkeiten der Existenz klammern könnte: seine Räume, seine Zeit, seine Identität. Buchstäblich zu verstehen ist dies etwa im Falle eines "Cellospielers", den Schiele 1910 zeichnete und dem er in seiner Darstellung das Cello nahm. Während die Körperhaltung dem Musizieren entspricht, klafft an der Stelle des Instruments eine Leerstelle, die den Musiker lächerlich, affig erscheinen lässt.

Immer wieder ließ Schiele auf diese Weise Gesten, auch solche der Liebe, ins Leere laufen. Bisweilen erscheinen seine Figuren "fallend", weil ihnen im Nachhinein die Möbel entzogen wurden, auf denen die Modelle posierten.

Bemerkenswert ist im Hinblick auf die Haltlosigkeit eine Serie von Zeichnungen, die schlafende oder in Trance befindliche Frauen zeigen (u. a. die Mutter des Künstlers). Bei diesen entschied man sich nun, sie im Gegensatz zu früher um 90 Grad gedreht zu hängen, so, wie es im Übrigen auch die Signatur Schieles nahelegt. Jedenfalls wirken die Damen nun nicht mehr friedlich hingelegt, sondern als ob sie von einer Schaufel gekippt würden.

Gegen das Klischee vom Erotomanen Schiele richtet sich indes auch Schröders Betonung der spirituellen Dimension in dessen Œuvre. Eine Schlüsselstelle der Schau ist eine Serie lange unverstandener, allegorischer Zeichnungen, die "Erlösung" oder "Die Wahrheit wurde enthüllt" heißen. Wie Schiele-Experte Thomas Ambrózy 2009 darlegte, bezog sich der Künstler darin auf den heiligen Franziskus und dessen entsagungsreichen seelsorgerischen Kult: eine Perspektive, die auch den Rest der Schau in einem anderen Licht erscheinen lässt.

Letztlich bleibt Schiele, der schon zu seiner Zeit als großes Talent gerühmt wurde und 28-jährig an der spanischen Grippe starb, freilich auch nach dieser schönen Schau ein Rätsel. Ein Rätsel, dem auch nach vielen Blicken in die Augen des Künstlers auf seinen obsessiv angefertigten Selbstdarstellungen nicht ganz auf den Grund zu gehen ist. (Roman Gerold, 22.2.2017)