Rechtspopulistische Bewegungen speisen sich auch aus Hass und Wut in sozialen Medien.

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Die luxemburgische Politikerin Anne Brasseur fordert Bürger auf, sich gegen den Hass im Netz zu stellen.

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STANDARD: Haben Sie selbst schon einmal ein Hassposting verfasst?

Brasseur: Nein, ich stelle keine Hasstiraden ins Netz. Ich benutze das Internet für kurze Nachrichten an Freunde oder beruflich.

STANDARD: Können Sie Hasspostings nachvollziehen?

Brasseur: Ja, natürlich. Es wird durch das Internet einfacher, seinem Ärger freien Lauf zu lassen. Es gibt auch Brandstifter, die Hass provozieren. Die, die ihre Wut äußern, sind dann Brandbeschleuniger, die von den Brandstiftern ausgenutzt werden.

STANDARD: Warum greifen so viele Bürger zur Hassrede?

Brasseur: Hass kommt daher, dass es viele Fragen gibt, die von der Politik nicht beantwortet werden. Dann kommen Populisten mit einfachen Lösungen und machen irgendjemanden dafür verantwortlich – Randgruppen oder das Establishment oder Ausländer. Das ist ein sehr gefährliches Spiel.

STANDARD: Was ist die Konsequenz dieses Spiels?

Brasseur: Wenn man ungestraft etwas gegen jemanden sagen kann, sinkt die Hemmschwelle. Der nächste Schritt ist dann, Minderheiten wie Schwule oder Asylwerber niederzumachen, wenn man ihnen begegnet – aber natürlich nur mit Gleichgesinnten, weil allein sind die Täter zu feig.

STANDARD: Wie wichtig ist Repression durch Gerichte?

Brasseur: Abschreckung ist enorm wichtig. Es gibt meistens Wiederholungstäter – und es sind meistens auch erwachsene Menschen.

STANDARD: Welche Rolle spielt Facebook als Plattforminhaber?

Brasseur: Wenn man sagt, dass Provider eine Verantwortung haben, was online geht, dann muss man fragen, wer diese Kriterien definiert. Wir müssen aufpassen, dass wir dadurch nicht unsere Freiheit einschränken.

STANDARD: Dennoch sehen viele Politiker Facebook als Problemverursacher und Verantwortlichen.

Brasseur: Wer eine Straße baut, kann nicht für Unfälle verantwortlich gemacht werden. Es ist einfach, als Politiker zu sagen: "Jetzt muss das Facebook lösen." Natürlich kann man als Individuum verlangen, dass gewisse Dinge von der Plattform gelöscht werden. Aber dass man sagt, Facebook muss entscheiden, das ist gefährlich.

STANDARD: Welche Strategie schlagen Sie gegen Hassreden vor?

Brasseur: Das wichtigste Gegenmittel ist und bleibt die Bildung. Man braucht kein eigenes Fach für Menschenrechte. Aber man muss Werte vermitteln. Dafür gibt es vom Europarat ein Handbuch namens Bookmarks, wo viel Material dazu drinnen ist.

STANDARD: Sie beziehen sich auf die Schule als Ort der Bildung?

Brasseur: Es ist natürlich auch bei Jugendbewegungen wichtig. Die "No Hate Speech"-Bewegung ist etwa in 44 Ländern vertreten. Beim Sport, in der Kultur werden Werte vermittelt. Aber Jugendliche, die solche Aktivitäten ausüben, sind ohnehin weniger anfällig für Populisten. Die Frage ist: Wie kommt man an die anderen heran? Und da bleibt nur die Schule.

STANDARD: Was sind kurzfristige Strategien?

Brasseur: In Finnland gab es Graffiti mit Nazisymbolen. Anstatt diese zu entfernen, haben sich Jugendliche mit Künstlern zusammengesetzt, um diese zu adaptieren. Aus dem Hakenkreuz wurde ein Croissant mit vier Beinen; aus dem SS-Symbol ein Zischlaut einer Schlange. Das ist wichtig: dass Jugendliche sich aktiv engagieren.

STANDARD: Man soll Hasspostings ebenso widersprechen?

Brasseur: Man muss sich organisieren, um dagegenzuhalten. Sonst glauben die, die mit Hass in sozialen Medien unterwegs sind und "Wir sind das Volk" rufen noch, sie seien das tatsächlich.