Sex, Verbrechen und Alkohol zieren Rubinowitz' verschachtelten Roman auf humorige Art.

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Die Arbeit des Lektors kommt in Buchbesprechungen meist nur unter Tadel zur Sprache. Hier und da hätte der Text gestrafft gehört, an der Orthografie oder Lexik gefeilt. Machen die Mittler zwischen Verlag und Künstler hingegen alles gut, fällt es nicht weiter auf und die Lorbeeren gelten dem Autor allein. Undank ist der Welten Lohn. Dabei wäre aus manchem Schriftsteller ohne Lektorat und dessen mitunter auch textferne betreuerische Tätigkeiten der besonders empfindsamen Seelen vielleicht gar nie einer geworden.

Dem ersten Gegenleser zur verdienten Sichtbarkeit verhilft Tex Rubinowitz, bekannt geworden als Zeichner und seit geraumer Zeit als Schriftsteller längerer Formen, in seinem neuen Roman. Lass mich bitte nicht allein mit ihr heißt er und setzt mit einer Schaffenskrise ein: "Ich hätte nichts zu erzählen. Ich würde dem bisschen von mir Erlebten und Nacherzählten vertrauen und glauben, das reiche schon, bisschen Stuck ranklatschen da und dort, mehr ist da nicht", schilt da der Lektor.

Nicht jeder Verfasser wäre in der Verfassung, das einfach so wegzustecken. Nicht aber unser einsichtiger wiewohl hartnäckiger Ich-Erzähler, der mit Rubinowitz neben dem Namen auch manch Lebensstationen teilt. Er habe nichts zu sagen? "Wie auch, ich mache ja nichts." Trotzdem macht er weiter. Schließlich hätte es doch immer wieder einmal zu etwas gereicht. 2014 zum Beispiel für einen Kurzprosapreis, von dem es in den Medien geheißen habe, "der Jahrgang sei eben ein schlechter gewesen und ich von den Schlechten noch der Beste, dass ich mir darauf aber nichts einbilden dürfe".

Man darf darin den Bachmannpreis erkennen. Und als engagiertem – oder auch nur beiläufigem – Verfolger von Rubinowitz' Produktion wird einem noch mehr bekannt vorkommen.

Vergnügt disparat

An biografischen Umständen etwa eine Wikipedia-Plagiatsaffäre, Rubinowitz' Begeisterung für die Gruppe Abba oder ein Roman, der 2015 als Erweiterung des Bachmann-Siegertextes unter dem Titel Irma erschienen ist. Auch nicht ganz neu sein könnte Lesern dieses Blattes ein Schriftstellerstipendium in London, dessen Erfahrung in Lass mich nicht allein mit ihr in zwei Kapiteln wortgleich mit einem Text wiedergegeben wird, der im Juni vergangenen Jahres im Album des STANDARD erschienen ist.

Auch kleinere, von zweifelhafter Huld und erotischer Aufregung getragene Passagen über Anja Kruse hat Rubinowitz hierin zweitverwertet. Er trifft die Schauspielerin am Genfer See und im Wiener Nobelitaliener Fabios, vorgeschützt hat er ein Gespräch zwecks einer Rolle in einem Film, den zu schreiben er gerade dabei sei. Eigentlich aber will der mit anatomischen Extravaganzen im Gesichtsbereich Ausgestattete und prekär in einer Filmproduktion Angestellte sie, die in der Serie Forsthaus Falkenau Eindruck auf ihn gemacht hat, nur kennenlernen. Soll er sich von ihr zu kalter Lasagne nach Hause einladen lassen? "Improvisiertes Zutrauen" erkennt er hinter dem Angebot.

Kruse ist das eine Zentrum dieser vergnügt disparaten Ansammlung von Textbausteinen, organisiert von den leichtgängigen Tippfingern des unzuverlässigen Erzählers, der Rubinowitz und sein Alter Ego sind. Denn nichts ist hier fix. Nicht einmal der Erzähler, dessen Rolle für ein paar Kapitel von seinem Stalker Abdul übernommen wird – ein zweiter Angelpunkt des selbstgenügsamen und zugleich nach Weltkontext gierenden Bewusstseinsstroms. Aber ein rätselhaft bleibender, hat jener Abdul sich doch bei autoerotischen Spielen im Kasten Kruses erhängt. Das wirft mehr Fragen auf als Antworten.

Äpfel als Masturbationsbehelf

"Ich hasse Sinn, Logik ist für Langeweiler", heißt es an späterer Stelle im aus popkulturellen Verweisen auf Filme, Musik und Personen (Sascha Lobo u. a.) sowie einer Vielzahl kurzer Aufmerksamkeitsspannen zusammengeknüpften Text. Kleinere und größere Fragen an sich selbst gerichtet ("Gibt es eigentlich irgendjemanden, der Anthologien liest?") geben Autor und Erzähler immer wieder die Kraft, draufloszureden.

Etwa auch über Äpfel als Masturbationsbehelf, Requisiten in der Bibel oder als nicht mehr verfügbare alte Sorten, im Vergleich zu denen "entindividualisierte Normäpfel" wie der Golden Delicious anders als sein Name nahelege "keineswegs deliziös sind, sondern nach Apfelshampoo schmecken". Nahrungs- und Schönheitsindustrie setzen den grundierenden Kulturpessimismus vollends in sein Recht.

Immer wieder geistvoll, wahnwitzig, überraschend und originell (des Apfels Alkoholproblem ist die Gärung!), wirkt die Halt- und Ziellosigkeit dieses textbildnerischen Unterfangens nichtsdestotrotz auch oft dröge. Lass mich nicht allein mit ihr ist eine hochtourige Geistespritztour. Man kann so etwas schreiben, und man kann es lesen. Beides muss nicht unbedingt sein. Dass der Autor von seinem fiktionalen (?) Lektor nicht davor gewarnt worden wäre, kann aber keiner behaupten. (Michael Wurmitzer, 25.2.2017)