Paris – Das Model Ruth Bell, raspelkurze Haare, androgynes Aussehen, marschiert in einem dunkelblauen Matrosenanzug und lederner Beret-Kappe über den Laufsteg. Energisch, fast militärisch ist ihr Gang, mit dem sie die Show von Christian Dior eröffnet. Die Frauen hinter ihr tragen Arbeiterstiefel, Blaumänner und rigide Jeanshosen, außer den Farben Nachtblau und Schwarz kommt ihnen nichts in Haus. Die Baskenmützen und der entschlossene Blick verleihen ihnen den Anschein von Partisaninnen, daran können selbst glitzernde Abendkleider oder transparente Chiffonstoffe nichts ändern.

Mit dieser zweiten Ready-To-Wear-Kollektion hat Designerin Maria Grazia Chiuri sich erneut ein Feministinnen-Etikett umgehängt. Nur dass sie diesmal den Slogan "We should all be feminists" nicht nötig hat, um ihre Forderung nach Gleichberechtigung zum Ausdruck zu bringen. Ihre mutigen Entwürfe, mit denen sie das Bild einer toughen, selbstbewussten Frau propagiert, sprechen für sich.

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Foto: Reuters/ Benoit Tessier

Sie ist nicht die Einzige, die sich für die Belange von Frauen einsetzt. Durch die gesamte Modebranche weht gerade ein Wind von Feminismus – das hat auch die Pariser Fashion Week gezeigt, bei denen die Kollektionen für den kommenden Winter präsentiert wurden. Zwar wurden keine Pussy-Hats verteilt wie in Mailand, doch die Kollektionen zeigten überwiegend ein starkes Bild der Frau. So wie die mystischen Hexen-Patchwork-Kleider von Alexander McQueen oder die von Niki de Saint Phalle inspirierten Entwürfe von Sonia Rykiel.

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Patchwork-Kleider bei Alexander McQueen
Foto: ap/Zacharie Scheurer

Da fiel Anthony Vaccarello mit seinem sexistischen Frauenbild regelrecht aus dem Rahmen. Schon mit einer Rock-Länge, die gerade einmal die Pobacken bedeckt, hatte er am Auftaktabend der Modewoche für heiße Ohren gesorgt. Nun aber bekommt sein Arbeitgeber Saint Laurent ernsthafte Probleme mit der französischen Werbeaufsicht. Die neue Werbekampagne des Hauses mit mageren Models in "erniedrigenden" Posen habe für Beschwerden gesorgt, heißt es. Auf dem einen Plakat ist ein Model mit weit gespreizten Beinen und Netzstrümpfen zu sehen. Auf dem anderen beugt es sich über einen Hocker und streckt den Hintern weit nach oben. Gerade in einer Zeit, in der Frauenrechte wieder heiß diskutiert werden, sorgen solche Darstellungen natürlich besonders für Empörung.

Lederminikleid von Anthony Vaccarello für Saint Laurent
Foto: Apa/Afp/Alain Jocard

Doch eines muss man Vaccarello lassen: Mit sexy Entwürfen hat er der Marke seinen eigenen Stempel aufgedrückt. In Erinnerung blieb diesmal vor allem ein asymmetrisches, cognacfarbenes Lederminikleid, betont durch einen spektakulären, mit Lammfell gefütterten Handschuh, der bis zur Schulter ging. Auch alltagstauglichere Mode wie Rollkragen-Pullover und Sneakers schafften es diesmal auf den Laufsteg. Aber Vaccarello hat nun mal eindeutig ein Faible für Party-Miezen in knappen Kleidchen. Für den Fall, dass Frauen irgendwann einmal genug haben von einer chauvinistisch geprägten Welt, entwarf Karl Lagerfeld den perfekten Fluchtplan: mit der Rakete durchstarten und ab ins Universum.

Foto: apa/afp/Patrick Kovaric

Im Grand Palais stellte er ein gigantisches Raumfahrtzentrum auf, durch das die Models in funkelnden Stiefeln, silbernen Jacken, wattierten und metallisch glänzenden Capes und natürlich einer Reihe von Tweed-Kostümen spazierten.

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Foto: Reuters/ Gonzalo Fuentes

Am Ende hob die Rakete in der Mitte des Laufstegs eindrucksvoll und unter Beifallsstürmen vom Boden ab.

Folklore bei Vuitton

Die Show von Louis Vuitton wirkte im Vergleich dazu geradezu geerdet, obgleich sie in spektakulärer Umgebung stattfand. Denn im Cour Marly befindet sich eine der eindrucksvollsten Skulpturensammlungen des Musée du Louvre. In folkloristisch inspirierten Entwürfen liefen die Models am Dienstagabend über große Marmortreppen an den berühmten "Chevaux ailés" oder "Daphné und Apollo" vorbei. Seidennachtkleider kombinierte Chefdesigner Nicolas Ghesquière mit Stiefeletten und zeichnete damit ein feminines, an praktische Bedürfnisse angepasstes Bild von Mode.

Lauf über Marmortreppen: Louis Vuitton im Cour Marly
Foto: APA/AFP/BERTRAND GUAY

Einer, der seit jeher ein realistisches Frauenbild vertritt, ist der belgische Designer Dries Van Noten. Mit einem Rückblick auf seine liebsten Prints, von grafischen Motiven über japanische Blumenmuster und Landschaftsdrucke, feierte er diese Saison seine 100. Show. Wie immer gekonnt, spielen seine Looks mit maskulinen Elementen, ohne dabei an Weiblichkeit einzubüßen: Weite Männerhemden wirft er über feminine Plisseeröcke, breitschultrige Sakkos schimmern metallisch oder werden mit Röcken und hohen Schuhen kombiniert.

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Modelauflauf bei Dries Van Noten
Foto: ap/ Francois Mori

Dass seine Mode außerdem kein Alter kennt, bewies er, indem er seine Musen der 1990er-Jahre wieder auf den Laufsteg bat, darunter Nadia Auermann, Alek Wek und Amber Valletta. Die Französin Isabel Marant machte es ihm am nächsten Tag nach und ließ ebenfalls Models unterschiedlichen Alters für sich laufen. Sie zeigte lässige XXL-Schnitte, wadenlange Bohème-Kleider und Overknees-Stiefel, für die es keine Altersgrenze gibt – und heimste dafür Anerkennung ein.

Lanvin-Chefdesignerin Bouchra Jarrar mit Model.
Foto: APA/AFP/BERTRAND GUAY

Das Modehaus Lanvin musste dagegen Kritik einstecken. Unter den prächtigen Kronleuchtern des Hôtel de Ville zeigte die neue Chefdesignerin Bouchra Jarrar eine romantische, vom Tanz inspirierte Kollektion. Geschmeidig flatterten die zartrosa Chiffonröcke um die Beine der Models. Oberteile waren drapiert oder gewickelt, wie man das aus dem Ballett kennt, mit Spitzen und Rüschen dekoriert. Damit das Ganze nicht zu lieblich wirkt, wurden die Looks mit flachen Stiefeletten und punkigen Netzstrümpfe aufgebrochen. Eine feminine, aber selbstbewusste Vision der Frau, die vielen gefallen könnte. Allerdings wurde die Show überschattet von den Berichten des Castingdirektors James Scully, der dem Haus vorwirft, ausdrücklich nach weißen Models für seine Schauen zu fragen.

Immer wieder wird der Mode vorgehalten, die weibliche Vielfalt nicht genügend zu repräsentieren und ein rassistisches Frauenbild zu vertreten. Zwar liefen auch vier farbige Mannequins in der Show, bei insgesamt gut 40 Models bleibt das aber eine dürftige Quote.

Foto: apa/afp/Francois Guillot

Welche Frauen unter den abstrakten Entwürfen von Rick Owens steckten, konnte man nur erraten. Seine Models waren bis zur Unkenntlichkeit in Kleider eingehüllt, die aussahen, als ob dicke Daunenschlafsäcke willkürlich um den Köper gewickelt waren. Als Kopfbedeckung trugen sie Metallgerüste, an denen lange, abgeschnittene Ärmel baumelten und das Gesicht bedeckten. Sexismus kann man Owens für diese Kreationen gewiss nicht vorwerfen – wer diese unförmigen Kleider tragen soll, ist allerdings die andere Frage. (Estelle Marandon, 8.3.2017)