Bild nicht mehr verfügbar.

Immer umringt von Bodyguards: Geert Wilders' Volksnähe endet, wo kritische Fragen beginnen. Der Spitzenkandidat der Freiheitspartei (VVD) und Dominator des politischen Diskurses in den Niederlanden bei einer Wahlkampfveranstaltung in Valkenburg am Samstag.

Foto: REUTERS/Yves Herman

Ganz egal, wie die Parlamentswahlen in den Niederlanden am Mittwoch ausgehen, der Gottseibeiuns des sogenannten politischen Establishments der Niederlande, aber auch Europas, Geert Wilders, hat bereits gewonnen.

Dass es am Wochenende zu einer bis dato ungekannten Eskalation in den Beziehungen zum Nato-Partner Türkei kam, hat Wilders mit viel Genugtuung zur Kenntnis genommen. Schon Stunden bevor sich die Ereignisse in Rotterdam Sonntagnacht rund um die Demonstrationen vor dem türkischen Konsulat zuspitzten, rief Wilders in einem Tweet Premierminister Mark Rutte und Bürgermeister Ahmed Aboutaleb dazu auf, den Ort der Kundgebun- gen "aufzuräumen – und zwar schnell". Und siehe da, Wilders' Wunsch wurde erhört.

Mainstreamtauglich

Dass ein liberaler Premier und ein sozialdemokratischer Bürgermeister Wilders' Politik exekutieren, ohne dass dieser überhaupt Teil der Regierung ist, bezeugt nicht nur, wie angespannt die Stimmung im Land kurz vor dem Wahlgang am Mittwoch ist, sondern kann auch als wichtiger Etappensieg für Wilders gesehen werden: Seine Politik hat in den Mainstream Eingang gefunden.

Und obwohl dieser Aspekt in der öffentlichen Debatte bewusst oder unbewusst an den Rand gedrängt wird, beharrt Wilders selbst lautstark auf seinem Copyright. Dass seine 2006 gegründete PVV (Partij voor de Vrijheid), die sich in den Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der regierenden VVD um den ersten Platz liefert, von beinahe allen anderen Parteien schon im Vorfeld ausgegrenzt und der Regierungsbeteiligung für ungeeignet befunden wurde, bereitet Wilders wohl kaum Kopfzerbrechen.

Die Hinweise, wonach er gar nicht interessiert ist, de facto zu regieren, sind zahlreich, wenn man etwa die Recherchen des Online-Politmagazins Human verfolgt. Aber seine Autorschaft an der jüngsten Eskalation will sich der Mann, der mit starken Sagern regelmäßig die Gemüter erregt, keinesfalls streitig machen lassen.

Geert Wilders, 1963 in Venlo geboren, geriert sich als Lösung für alles, was seiner Analyse zufolge in den Niederlanden seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges verkehrt gelaufen ist. Innerhalb des rechtspopulistischen Spektrums Europas fällt er mit seiner bedingungslosen Unterstützung für Israel auf. Sein Anhang sieht ihn als waschechten Holländer, als Mann aus dem Volk, als geradlinigen, ehrlichen und authentischen Politiker.

Was treibt diesen Mann an, der sein Haar blondiert, als "geföhnter Mozart" (Youp van't Hek, 2011) durchs Leben geht und seinen limburgischen Akzent kultiviert? Schon 2009 hat die Kulturanthropologin und Publizistin Lizzy van Leeuwen einen auf sorgfältigen Archivstudien beruhenden Deutungsversuch unternommen. Dieser führt durch Wilders' von der kolonialen Vergangenheit geprägte Familiengeschichte und kulminiert in dem Statement, wonach er ein "postkolonialer Revanchist" sei, "besessen davon, die geopolitischen und demografischen Veränderungen nach dem Krieg umzukehren und ,historische Fehler zu korrigieren'".

Nicht, dass Wilders indonesische Wurzeln hat (seine Großmutter war ein Spross der jüdisch-indonesischen Familie Meijer), ist dabei bemerkenswert, sondern vielmehr das Faktum, dass er diesbezüglich immer vage geblieben ist und sich ein betont "weißes" Image übergestülpt hat.

Er operiert in einem postkolonialen politischen Vakuum, das viel darüber aussagt, wie die Niederlande mit ihrer kolonialen Vergangenheit umgegangen sind und immer noch umgehen: Er ist erfolgreich, weil was für alle Welt sichtbar ist, von den meisten nicht erkannt wird. Die Identitätskonflikte seiner indoeuropäischen Familie sind allgegenwärtig in Wilders' Politik. Damit steht er in einer langen Tradition von Indoeuropäern, die sich politisch für konservative, nationalistische und rechte Ideen begeisterten.

In den 1930er-Jahren schlossen sich viele sogenannte Indos der NSB (Nationaal-Socialistische Beweging; die holländische Variante der NSDAP) an, schon damals wollten sie sich als holländischer als die Holländer profilieren.

Die Centrumpartij, die erste rechte Partei, die in den Niederlanden nach dem Zweiten Weltkrieg entstand, wurde von dem Indoeuropäer Henry Brookman gegründet. Und auch der prominente VVD-Politiker, Frits Bolkestein, der mit Kritik an der multikulturellen Gesellschaft Furore machte, hatte eine indonesische Mutter. In den 1990er-Jahren schrieb seine Reden niemand anders als der junge Geert Wilders.

Das Parteiprogramm von Geert Wilders und seiner PVV für die Wahlen 2017 ist kurz und bündig, es passt auf eine A4-Seite. Seine Standpunkte sind bemerkenswert: Er will alle Moscheen schließen und den Koran verbieten; er will die Mieten senken und Volksabstimmungen bindend machen; die Armee und die Polizei müssen mehr Geld bekommen, aber an Kunst, Windmühlen (!), Entwicklungshilfe, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk etc. soll kein Geld mehr gehen. Wilders will viele Dinge abschaffen, ohne sich auf Details festzulegen.

Widerwille gegen Fragen

Sein Widerwille, sich Fernsehduellen oder kritischen Journalistenfragen zu stellen, ist legendär (im Internet macht etwa gerade der Hashtag #hoedan – aber wie? die Runde). Seit Wilders das Minderheitskabinett von 2010 hängenließ, wird er von seinen politischen Opponenten als "Ausreißer" geframt. Macht nichts. In den großen TV Wahlduellen wird über Statements wie "Die Niederlande haben ihre eigene Kultur nicht ausreichend beschützt" diskutiert, die Frage von nationaler Identität ist das Top-Thema dieses Wahlkampfes. Dieses Thema diktiert Wilders. Wenngleich es in den letzten Tagen und Stunden vor den Wahlen so aussieht, als könnte sich Rutte, der in dem Konflikt mit der Türkei Stärke demonstriert hat, auf eine neuerliche Amtszeit vorbereiten, tut das Wilders' Triumph keinen Abbruch: Der Geist ist aus der Flasche. (Bert Jonkers, Sylvia Szely, 14.3.2017)