Wenn Europas 507 Millionen EU-Bürger am Samstag in allen ihren 24 Amtssprachen die offizielle "Erklärung von Rom" lesen können, werden viele sagen: schön und gut, drei Seiten, eng beschrieben, voller Beteuerungen, Ideen, Versprechungen, Wünsche. Aber ein Plan, wie die Regierungschefs die EU und uns alle konkret aus der tiefsten Identitätskrise der (gemeinsamen) Geschichte herausführen wollen, lässt sich daraus nicht ablesen.

Das ist auf den ersten Blick richtig. Ein Konzept für Reformen inklusive Zeitplänen müsste anders aussehen.

Auf den zweiten Blick lässt sich diese Deklaration zum 60. Jahrestag der EWG-Gründungsverträge aber ganz anders lesen: Vom naiven Fortschrittsglauben von 1957 ist keine Rede mehr. So viel Reflexion und realistische Einsicht, dass es wie derzeit nicht weitergehen kann und wird, hat es in einem wichtigen Dokument selten gegeben.

Rom will Auftakt zur Bildung einer anderen, einer "echten Union" von Staaten sein. Die Briten sind schon nicht mehr dabei, andere könnten folgen. Die Türkei bleibt out. Aber ein Kern von Ländern, die gemeinsame Fiskal-, Wirtschafts- und Sozialpolitik machen wollen, dürfte bis 2027 doch entstehen. Das wird dauern. Die Sache ist komplex. Aber wer die aktuelle Lage und Lähmung in Europa, die Entwicklung der USA unter Präsident Donald Trump und die globale Wirtschaftsentwicklung – China – vor Augen hat, ahnt auch: Die Union hat gar keine andere Wahl. (Thomas Mayer, 23.3.2017)