Mit unscharf gemachten Architekturfotos will Eva Schlegel ihre Betrachter in "Imaginary Spaces" schicken.


Foto: Galerie Krinzinger und die Künstlerin

Brillenträger haben einen klaren Vorteil. Sie können die Welt um sich herum bedarfsweise unscharf stellen. Denn erstens will man ja gar nicht immer alles so deutlich sehen. Und zweitens kann man in die einmal verschwommen gewordenen Dinge, wenn's notwendig sein sollte, etwas ganz Neues hineininterpretieren.

Nichtbrillenträger können für diesen schönen Zauber ein Stück trüben Glases parat halten – oder in die Galerie Krinzinger gehen. Dort werden aktuell Fotografien von Eva Schlegel (geb. 1960 in Hall in Tirol) präsentiert, die eben auf dem Prinzip Unschärfe beruhen. Die österreichische Künstlerin schoss ausschnitthafte Architekturfotos von Stiegenhäusern, Fenstern oder Türen und lichtete die geprinteten Abzüge anschließend noch einmal – diesmal unscharf – ab.

Das Ergebnis sind gleichmäßig weichgezeichnete, aber (größtenteils) nicht gänzlich abstrakte Bilder. Man erkennt noch Gangfluchten oder ein Fenster, durch das Licht fällt. Teilweise scheinen Schlegels großformatige Fotografien wie in einer optischen Täuschung zu flirren. Gerade so weit ist der Fokus verrückt, dass das Auge sich auf die Suche nach Schärfe begibt – und dabei verlorengeht. Oder eben jene Imaginary Spaces auftut, die der Ausstellung auch den Titel geben.

Das Unsichtbare sehen

Die Idee hinter dieser malerisch anmutenden Fotografie besteht darin, nur mehr die grobe Form übrig zu lassen. So sollen Betrachter dazu gebracht werden, die "Rolle, die Architektur in der Gesellschaft und in der Psyche des Individuums spielt, neu zu überdenken", wie der Beipacktext verrät. Es ist ein Prinzip, das Schlegel in der Vergangenheit etwa auch schon bei Menschenporträts anwandte.

Zumindest betreffend ihre zwischen 2015 und 2017 entstandene Architekturserie muss man allerdings sagen, dass das Konzept nicht recht aufgeht. Ist schon die Idee, durch fotografische Unschärfe utopische Räume anzuvisieren, etwas schal, so bleiben zudem auch die Bilder vielfach auf der spannungslosen Seite – ungeachtet des Rausches, der sich zwischenzeitlich ob des optischen Effekts einstellt.

Parallel zur Ausstellung Imaginary Spaces und auf Einladung Eva Schlegels sind bei Krinzinger außerdem Präsentationen von Angela de la Cruz und Johanna Calle zu sehen. De la Cruz (geb. 1965 in A Coruña, Spanien) zeigt Arbeiten, die die Grenze zwischen Malerei und Objekt ausloten: bemalte Quader, die in den Raum hineinragen etwa; oder rote Leinwände, die in Plastikfolie gepackt sind und auf diese Weise Lichtreflexionen ins Bild hineinholen.

In der soziopolitischen Realität Lateinamerikas wurzeln die Arbeiten der 1965 in Bogotá geborenen Künstlerin Johanna Calle. Auf die Reibung zwischen starrer Bürokratie und lebendigem Ausdruck mag es etwa gemünzt sein, wenn Calle die enge Rasterung von Buchhaltungspapier quasi "lautmalerisch" mit den Phonemen der spanischen Sprache überschreibt. Eindrücklich ist das Bild, das sie für die Serie Perspectivas (2006-2009) fand: Brachial flachgequetschte Vogelkäfige sind darin so auf weißem Grund drapiert, dass die lädierten Gitter nun wie Zeichenstriche aussehen. Gemeint ist die Arbeit auch als Anspielung auf das Problem der schrumpfenden Artenvielfalt. (Roman Gerold, Album, 25.3.2017)