Die Semmel auf Wotruba: ein österreichisches Stillleben.

Foto: Universalmuseum Joanneum / N. Lackner

Graz – Wer einen fußballgroßen Tonklumpen auf hellblauem Autodach sehen will, braucht nicht ins Kunsthaus Graz zu kommen. Auszahlen würde es sich aber trotzdem. Der Titel der Ausstellung von Erwin Wurm sorgt in Kombination mit dem Ausstellungsplakat, auf dem die Liegende Figur von Fritz Wotruba mit einer Wurstsemmel am Knie zu sehen ist, für Aufsehen. Befreundete Ärzte hätten ihr erzählt, dass etwa Plakate auf dem LKH-Areal täglich für Diskussionen sorgen, so Kunsthaus-Chefin Barbara Steiner. Doch was hat es mit der Wurstsemmel mit Essiggurke, die scheinbar achtlos auf dem ehrwürdigen Wotruba abgelegt wurde, auf sich?

Riesengurke mit Rucksack

Achtlos, dieses Wort würde Wurm, der für die Schau in Graz, wo er aufwuchs, viele neue Arbeiten schuf, so nicht stehen lassen. "Ich mach mich in keiner Weise lustig über Kollegen oder Kolleginnen, sondern mache darauf aufmerksam, dass alles, was uns umgibt, Artefakt für ein Kunstwerk sein kann." Wurm experimentierte in der Schau und ist mit dem Ergebnis glücklich. Er verwendete unter anderem etablierte Kunst als Material, das in Verbindung mit Alltagsobjekten zu etwas Neuem werden kann. Der Wotruba wird auch zum Sockel für die Semmel, die man übrigens nicht essen darf. Genauso mutiert eine Skulptur Josef Pillhofers zur Kletterwand, die man nicht erklimmen darf, und eine Tür von Robert Rauschenberg wird einer Wurm'schen Riesengurke als Rucksack umgeschnallt.

Zurück zum Titel der Ausstellung, der weder nur Verwirrung noch nur Bespaßung sein soll, sondern eigentlich schon selbst so etwas wie eine imaginäre Skulptur darstellt. Eine, die erst beim Lesen im Kopf des Betrachters entsteht. Samt Klumpen und Autodach. Das korrespondiert wunderbar mit den sogenannten "Wortskulpturen" in der Ausstellung, die eine Premiere im Kosmos Wurms darstellen. Im schwer bespielbaren Innenraum des Aliens, wie das Kunsthaus auch heißt, stehen Aufseher des Museums auf Podesten und erzählen quasi Skulpturen. Wurm hat hier den Skulpturbegriff noch einmal erweitert: Wurden in seinen "One-Minute-Sculptures", die ihn 1997 berühmt machten, vor allem Handlungen zur Skulptur, sind es bei den Wortskulpturen Worte und Gedanken, aus denen Skulpturales entsteht.

Fast wohnliche Inseln

Kurator Günther Holler-Schuster hat den dunklen Raum auch mit vielen kleinen Tischen, wie das Kunsthaus von amorpher Form und mit Lampenschirmen bestückt, möbliert. Sie bilden fast wohnliche Inseln. Nur eine erinnert an die "klassische" One-Minute-Sculpture, verfügt sie doch über die Handlungsanweisung sich einen Kübel aufzusetzen und so eine Minute zu verharren. Auf einer anderen kann man sich Rotwein eingießen und trinkend über Skulpturen nachdenken. So wie man Lampen an- und ausknipsen kann, werden hier Alltagsfunktionen von Malereimern, Gläsern oder eben einer Semmel aus- und ihre Kunstfunktion eingeschaltet.

Die Arbeit, die den Raum zwischen all dem auf monströs-liebliche Art einnimmt, ist der Weltraumschwitzer: Ein 40 mal 400 Meter großer rosafarbener Pullover, von dem eigentlich normal große Ärmel scheinbar winzig wie die eines aufgeblähten Babys in den Raum hängen. Wir vermuten, dass das Baby, das den Pulli einst getragen hat, mit einem Fatcar mit hellblauem Autodach auf der Flucht ist. (Colette M. Schmidt, 25.3.2017)