Auf der Suche nach der Hochkultur: Percy Fawcett und Co.

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Wien – Eine Landesgrenze zu vermessen, das erscheint dem jungen, tatendurstigen britischen Offizier zunächst wie eine Degradierung. Doch Percy Fawcett (Charlie Hunnam) kann das Angebot der Royal Geographical Society schon deshalb nicht ablehnen, weil er jede Rehabilitation seines beschädigten Namens gebrauchen kann. Das Problem einer eindeutigen Grenzziehung zwischen Bolivien und Brasilien liegt in für gut gekleidete Nordeuropäer unwirtlichem Terrain. Sie verläuft mitten durch die "grüne Wüste", den Amazonas, durch Zonen, vor denen selbst Einheimische angstvoll zurückschrecken.

Amazon Studios

The Lost City of Z (zu Deutsch: Die versunkene Stadt Z) hat all die richtigen Zutaten, die ein guter Abenteuerfilm benötigt. Es gibt etwa Kannibalen, die Kessel über dem Feuer stehen haben, oder unsympathische Expeditionskollegen, die das Wohl der Truppe (darunter ein bärtiger Robert Pattinson) gefährden. Doch dank des Regisseurs James Gray, eines der letzten Klassizisten des US-Kinos (We Own the Night), wird aus der Verfilmung des Buches des New Yorker-Journalisten David Grann kein Stück Spektakelkino im Indiana Jones-Modus – vielmehr so ziemlich das Gegenteil: das mit leidenschaftlicher, herrlich anachronistischer Note erzählte Porträt eines rastlosen Entdeckers.

Hohn für den Forscher

Der Brite Hunnam spielt Fawcett als durchaus ambivalente Figur zwischen Aufklärer und Egomane, die nur entfernt an Werner Herzogs manische Selbstverwirklicher erinnert. Tief im Herzen des Dschungels entdeckt er die Überreste einer versunkenen Hochkultur. Ein Sensationsfund, doch daheim in England erwartet den Forscher statt des erhofften Ruhms zunächst nur der Hohn der Ungläubigen. Die Obrigkeit fühlt ihren Status als Ursprung der Zivilisation gefährdet.

Eine weitere Reise muss also geplant werden, um mehr Beweismaterial zu sammeln. Gray interessiert allerdings keine Heldengeschichte, die über Etappen zum erwünschten Ausgang führt, sondern eine, die das Ziel wie eine Fata Morgana immer weiter nach hinten verschiebt.

Denn je öfter Fawcett aufbricht, desto mehr verfällt er dem Dschungel, der sich wie eine wilde Alternative zur sich zunehmend verfinsternden Gegenwart Europas am Anfang des 20. Jahrhunderts ausnimmt. Ein wichtiger Teil des Films befasst sich auch mit seinen Familienverhältnissen, seine progressive Frau Nina (Sienna Miller) ist mit ihrer Rolle der ewig in England Zurückbleibenden nämlich durchaus unglücklich.

Betörende Farben

Kameramann Darius Khondji verleiht den Bildern vielleicht eine Spur zu viel Patina. Es passt aber auch zum Tonfall des tragischen Idealismus von The Lost City of Z. Man fühlt sich wie eine andere Zeit versetzt, nur an den politischen Koordinaten erkennt man die Hand des Modernisierers.

Noch mitten im sinnlosen Gemetzel der Grabenkämpfe des Ersten Weltkriegs träumt Fawcett mit seiner Crew von den betörenden Farben des Amazonas. Dass dieser Mann verlorengeht, kann man auch als Sinnbild verstehen. Männer, die losziehen, um Grenzen der Vorstellung zu erweitern und um das Wissen zu vermehren, sind selten geworden. (Dominik Kamalzadeh, 30.3.2017)