Noch bevor Bundeskanzler Christian Kern seinen Brief mit der Bitte um eine Neubewertung der Flüchtlingsumverteilung nach Brüssel geschickt hat, hat er laut STANDARD-Informationen mehrfach mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker telefoniert. Juncker sei in den Verhandlungen mit Kern für "politische Lösungen" zu haben, in den kommenden Tagen würden die Gespräche fortgesetzt, heißt es in Brüssel.

"Flexible Solidarität"

Das bedeutet nicht unbedingt, dass die Quote jener Asylwerber, die Österreich aus Italien oder Griechenland erfüllen müsse, reduziert wird. Die Kommission ist mit einer Reihe von Wünschen der Mitgliedsländer diesbezüglich konfrontiert. Beim EU-Gipfel in Bratislava war man übereingekommen, dass es für Sonderfälle eine "flexible Solidarität" geben müsse. Was das im Einzelfall bedeutet, ist völlig offen. Beschlüsse gibt es nicht. Die EU-Innenminister wollen Ende Juni erste Ergebnisse vorlegen. Malta hat dies zum Schwerpunkt seines EU-Vorsitzes gemacht. Es wäre zum Beispiel denkbar, dass Österreich für seinen Beitrag bei der Flüchtlingsaufnahme 2015 finanzielle Vorteile bekommt.

Der Plan, dass 50 jugendliche Asylwerber aus Italien nach Österreich umgesiedelt werden, zielte offenbar darauf ab, dass Österreich in einem ersten Schritt zumindest einen Teil der Quote erfüllt – die Kommission hatte offenbar nicht vor, großen Druck auf Wien auszuüben, wissend, dass das Thema hierzulande sensibel ist. Nun scheint sogar dieses stille Agreement aufgrund des Koalitionsstreits ins Wanken zu geraten. Österreich hat sich allerdings auch der italienischen Regierung gegenüber verpflichtet, 50 junge Asylwerber zu übernehmen. Diese Übereinkunft sieht vor, dass ein Kontingent von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ins österreichische Asylverfahren übernommen wird. Laut EU-Vereinbarung soll die Abwicklung spätestens zwei Monate nach der bilateralen Vereinbarung erfolgen. Zum Zug kommen vorrangig Asylwerber mit einer hohen Bleibewahrscheinlichkeit. Österreich hat aber keine Möglichkeit, sich die Asylwerber, die von der Umsiedlung nach Österreich betroffen sind, selbst auszusuchen – diese Zuständigkeit liegt bei den italienischen Behörden.

Nicht sehr wahrscheinlich ist, dass Kern mit leeren Händen aus Brüssel zurückkommen wird, wenn er Juncker persönlich trifft. Für den Kommissionspräsidenten ist er ein wichtiger Mitstreiter bei der geplanten Vertiefung der EU, nicht zuletzt zu einer Sozialunion, die auch Juncker ein besonderes Anliegen ist.

Anders als unter Vorgänger Werner Faymann, mit dem es Spannungen gab, zeichnet Juncker und Kern ein gutes Verhältnis aus. Der Bundeskanzler hatte in der Angelegenheit am Dienstag auch ein Telefongespräch mit EU-Ratspräsident Donald Tusk, wurde im Kanzleramt bestätigt. (Thomas Mayer, Maria Sterkl, 29.3.2017)