Meinrad Busslinger, ein Urgestein des Vienna Biocenters in Wien Landstraße.

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Wien – Bereits seit längerer Zeit sind B-Zellen Meinrad Busslingers große Leidenschaft. "Mich begeistert ihre gesamte Entwicklung", versichert er. Man glaubt ihm das, denn die Publikationsliste zu diesem Thema ist richtig lang. Mit seiner Gruppe am Institut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien hat der Schweizer schon untersucht, wie diese Art weißer Blutkörperchen (Leukozyten) entsteht, warum Vorläuferzellen von ihnen, pluripotente Stammzellen, den Transkriptionsfaktor Pax5 brauchen, um sich weiterzuentwickeln, und welchen Einfluss Veränderungen dabei auf die Entstehung von Leukämie haben.

Jetzt will er wissen, was aus B-Zellen schließlich Plasmazellen macht, deren einzige Bestimmung es ist, Antikörper (Immunglobuline) zu produzieren, um Bakterien oder Viren unschädlich zu machen, von denen der Mensch reichlich umgeben ist. Für einen entsprechenden Förderantrag hat er kürzlich seinen zweiten Advanced Grant des Europäischen Forschungsrats ERC erhalten.

Zentraler Bestandteil

Plasmazellen sind zweifelsohne ein zentraler Bestandteil des Immunsystems: Weiße Blutkörperchen stellen Millionen von Rezeptoren her, die alle Eindringlinge erkennen. Die T-Zellen docken an Eindringlinge an, durchbohren sie und machen sie auf diesem Weg unschädlich. Die B-Zellen werden beim Kontakt mit dem Erreger zu Plasmazellen und "geben ihre bisherige Existenz auf", wie Busslinger sagt. Verantwortlich dafür ist der Transkriptionsfaktor mit dem eindrücklichen Namen Blimp1, der manchmal auch in die Irre läuft und dabei bösartige Tumorzellen entstehen lässt: das sogenannte Lymphom.

Blimp1 ist aber mit Sicherheit nicht der einzige Transkriptionsfaktor, der aus B-Zellen Plasmazellen macht, die Busslinger aufgrund ihrer Antikörperproduktion bewundernd als "Sekretionsmaschinen" bezeichnet. Mit dem nun bewilligten Projekt soll das anders werden: 2,5 Millionen Euro auf fünf Jahre investiert der ERC, um Antworten auf die Fragen nach der Entwicklung der Plasmazellen zu ermöglichen.

Die Forscher werden B-Zellen in der Gewebekultur im Labor kultivieren. Danach werden diese mit spezifischen Viren infiziert, die einzelne Gene abschalten, während die Zellen zu Plasmazellen ausreifen. Vergleichen die Wissenschafter das Ergebnis schließlich mit dem Versuchsanfang, so können sie klar sehen, welche Faktoren neben Blimp1 noch eine Rolle bei der Umwandlung spielen. Zur Anwendung kommt das "neue Wunderwerkzeug der Genetik" (Busslinger), die Genschere CRISPR/Cas9, die DNA-Sequenzen aus der Zelle einfach und schnell verändern kann. "Wir können so mehrere Tausend Zellen gleichzeitig manipulieren."

Um die Funktion der entdeckten Gene auch in lebenden Mäusen zu untersuchen, wird das Forscherteam das in der Genetik früher gängige Rekombinationsverfahren mit dem Namen Cre-LoxP einsetzen. Es wurde entwickelt, als im Labor jede genetische Manipulation noch viel Geduld verlangte. Selbst dabei wird heute die besagte Genschere zu einer Beschleunigung führen. In der lebenden Maus findet man Plasmazellen vor allem im Knochenmark. Dort leben sie als Immungedächtnis des Säugetierkörpers und produzieren laufend Antikörper gegen Eindringlinge, die schon einmal bekämpft wurden, eine Art Datenbank, die ihre Objekte immer wieder neu herstellt.

Antrieb durch Fragen

Warum ziehen sich diese Zellen genau dorthin zurück? Und wie überleben sie in dieser Nische? Die Fragen scheinen dem Wissenschafter selbst in einem relativ überschaubaren Bereich wie jenem der B-Zellen nie auszugehen. Fragen zu stellen, "das ist auch genau das, was mich antreibt", meint Busslinger, der, Jahrgang 1952, mit Recht als ein Urgestein des Vienna Biocenter in Wien-Landstraße gelten kann.

Er war 1985 Gründungsmitglied des hauptsächlich vom Pharmakonzern Boehringer Ingelheim finanzierten Instituts für Molekulare Pathologie (IMP), zu dem sich im Laufe der Jahre die Max F. Perutz Laboratories sowie die Akademieeinrichtungen Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) und Gregor-Mendel-Institut (GMI) hinzugesellten.

"Heute ist das ein weltweit anerkannter Life-Science-Standort", lobt Busslinger, der mittlerweile auch stellvertretender IMP-Direktor ist, und knüpft daran eine relevante Kritik, die er an der österreichischen Forschungsszene hat: "Die finanzielle Ausstattung für Wissenschaft ist nicht ausreichend. Dem IMP geht es gut, die Unis sind aber unterfinanziert." Auch der Wissenschaftsfonds FWF habe derzeit immer noch zu wenig Geld, um "den Motor mit vollen Batterien zu steuern". Man erlebe derzeit eine Mangelverwaltung, könne aber immerhin auf das nächste Jahr hoffen. Ab dann soll das Budget das FWF von 184 Millionen Euro sukzessive auf 290 Millionen im Jahr 2021 gesteigert werden. Für Busslinger ist das ein längst überfälliger Schritt.

Im Dienste der Neugier

Der Wissenschafter hat mindestens noch eine, der B-Zelle eigentlich übergeordnete Leidenschaft: die Grundlagenforschung im Allgemeinen. Wissenschaft, die ausschließlich von der Neugier ihrer Protagonisten getrieben wird und fernab von Verpflichtungen die besten Voraussetzungen für Durchbrüche schafft. "Mir hat niemand vorgeschrieben, dass ich mich für diesen Zelltyp interessieren soll", betont er und glaubt, dass es in Österreich nicht nur im finanziellen Bereich, sondern auch in der Einstellung der Gesellschaft zu diesem Thema enormen Nachholbedarf gibt.

"In der Schweiz weiß man seit langem, dass Forschung und Innovation die Menschheit voranbringen." Hierzulande haben das viele Menschen noch nicht wirklich begriffen. Busslinger dazu: "Die Österreicher meinen immer noch: Innovation ist gefährlich." Und dadurch werde eine Kultur des Verharrens geschaffen, ja sogar rückwärtsgewandt argumentiert.

Sicher nicht am IMP, gewiss nicht am Biocenter in Wien-Landstraße, aber sehr wohl im gesellschaftlichen Umfeld – was sich indirekt wieder auf die finanzielle Ausstattung auswirke. "Wir wollen ja mit Wissenschaftern kooperieren, die gut mit Geldern ausgestattet sind." (Peter Illetschko, 1. 4. 2017)