Beschäftigte sich als Tochter großbürgerlicher Herkunft mit dem Elend der Indios: Sara Gallardo.

Foto: Revista Confirmado

Wien – Als Erlöser, der auf ausdrückliches Geheiß Gottes handelt, gibt der Indio Eisejuaz eine bemerkenswert traurige Figur ab. Einen fußlahmen Weißen soll er sich auf die Schultern laden. Gott spricht mit Eisejuaz (zu Deutsch: "Dieser Hier Auch") vornehmlich in Rätseln. In den nördlichen Ausläufern Argentiniens herrscht das eiserne Gesetz der Kolonisation. Die Vertreter der Indiostämme werden als menschliches Strandgut in die Siedlungen der Weißen gespült.

Die, die noch Glück gehabt haben, arbeiten unter prekären Verhältnissen im örtlichen Sägewerk, oder sie waschen Geschirr unter der Patronanz blinder Hotelbesitzerinnen. Franziskanische Missionare verhöhnen die Ureinwohner mit Moralpredigten. Besonders witzige Vertreter der Geistlichkeit schießen von ihren indigenen Schäfchen Fotos. Gelegenheitsarbeiter wie Eisejuaz (bürgerlich: Lisandro Vega) müssen dann als nackte Wilde posieren.

Hier, in dieser Hölle auf Erden, gilt das gemurmelte Joseph-Conrad-Wort: "The Horror ..." Und doch gibt dem Eisejuaz, diesem Muster ohne Wert, sein Gott kein Wort zu sagen, was er leidet. Was dieser Ärmste unter Armen unaufhörlich denkt und spricht, hat ihm die argentinische Autorin Sara Gallardo (1931-1981) in den Mund gelegt. Fünf Romane hat die beinah vergessene Journalistin und Querdenkerin geschrieben. Im Gedächtnis ihrer Nation ist sie vor allem mit Eisejuaz geblieben, diesem unablässig kreiselnden Monolog eines Gedemütigten und Gekränkten.

Geister in Tiergestalt

Keine Außenperspektive sprengt die Vita vom heiligen Wanderer auf. Eisejuaz, der reine Tor, steht mit seiner Umwelt im Verhältnis der Magie. Nicht die Sprachregelungen der "Gringos" bestimmen sein Wähnen, sondern Geister in Tiergestalt, die in seiner Seele ihre "Matten ausspannen". Gallardo zeigt einen Menschen im Stande der Unschuld. Zugleich ist unser Held von seiner moralischen Mission durchdrungen.

Übersetzer Peter Kultzen benennt im Nachwort zu diesem famosen Klassiker der südamerikanischen Moderne das Dilemma einer möglichst werkgerechten Übersetzung. Das argentinische Spanisch seiner Unterdrücker beherrscht Eisejuaz nur unzulänglich. Sein Nominalstil steckt voller Beschwörungen. Von einer Wiedergabe regionaler Färbungen hat Kultzen wohlweislich Abstand genommen. Ein schwäbelnder oder sächselnder Indio würde nicht nur geografisch in die Irre führen.

Herausgekommen ist jetzt ein rhythmisch unbarmherzig durchgearbeiteter Text, der dem zunehmend faszinierten Leser höchste Konzentration abverlangt. Redundanzen und kleinste Variationen "schmücken" dieses Protokoll eines nicht wiedergutzumachenden Elends, dem Eisejuaz mit blindem Gottvertrauen und unter Zuhilfenahme unerschütterlicher Bärenkräfte zu trotzen versucht. Heraus schlüpft ein Hiob aus dem Regenwald, der unter der vermeintlichen Willkür der göttlichen Vorsehung zwar leidet, gegen die Blindheit seines Schicksals aber niemals aufbegehrt.

Opakes Geheimnis

Es webt ein opakes Geheimnis um Eisejuaz, in dem auch ein kleiner Erlöser steckt. Der siechende Weiße, den er sich auf die breiten Schultern lädt, weiß ihm Pflege und Sorgfalt nicht zu danken. Paqui führt gotteslästerliche Reden im Mund und schwärzt seinen Beschützer nach erfolgter Genesung bei Presse und Behörden an. Gallardo erfindet halluzinogene Bilder, eines Juan Rulfo würdig.

Paquis Wiederkehr als falscher Heiland prellt den armen Eisejuaz sogar noch um dessen Rolle als begnadetes Sprachrohr seines Gottes. Es nimmt selbstverständlich kein gutes Ende mit Eisejuaz, "Diesem Hier Auch". Geschlagen mit der Missgunst seiner Stammesbrüder, stirbt er ausgerechnet am Gift seines letzten Lebensmenschen, einer aus dem Dreck der Gosse aufgelesenen Hure.

Er besitzt zuletzt noch die Kraft, den Aushub seines eigenen Grabes zu beaufsichtigen. Seinen Schutzgeist, den man sich scheut, "gut" zu nennen, spricht er an als "Wasser Das Fließt". Eisejuaz' Einwilligung in den eigenen Untergang ist herzzerreißend. Ihretwegen gehört Sara Gallardo dem Vergessen entrissen. (Ronald Pohl, 3.4.2017)