Fleiß, der nie versiegt: William Faulkner an der Schreibmaschine in Hollywood, Kalifornien, etwa Anfang der 1940er.


Foto: XTime Life Pictures

Wien – Nicht jeder Literaturnobelpreisträger beginnt seine segensreiche Schreibarbeit als Postmeister. 1925 lebte US-Autor William Faulkner (1897–1962) sechs Monate lang in New Orleans. Als Leiter der Postabteilung an der Mississippi-Universität hatte er bereits 1924 gekündigt. Faulkner fand nun endlich Zeit, durch das Vieux Carré von New Orleans zu flanieren und das vor Ort Gesehene in gestochen scharfe Prosa zu übertragen.

Blätter wie die "Times-Picayune" rissen dem jugendlichen Lyriker seine Skizzen ("Sketches") bereitwillig aus den Händen. Man erlebt, wie Faulkner als Feuilletonschreiber binnen weniger Wochen zum Steilflug als Prosakünstler ansetzt. Sein Auge fällt auf gewöhnliche Passanten. Der juvenile Dichter schlüpft in ihre Haut und lässt sie ihre meist prekären Lebensumstände eindrucksvoll Revue passieren.

Künstler und Bettler drängen weg von den "glatten bequemen Pfaden der Solidheit und des Schlummers". Eine Dirne gedenkt vor allem jener entbehrungsreichen Nächte, als auch ihr der amerikanische Traum verheißen schien: "... als ich jung war kreiste mein Blut durch mich wie klingendes Spiel". In diesem Halbsatz fehlt nicht zufällig der Beistrich. Sein Übersetzer ist niemand Geringerer als der deutsche Literatur-Solitär Arno Schmidt.

Mit der Neuherausgabe von "New Orleans – Skizzen und Erzählungen" lässt sich nachvollziehen, was passiert, wenn ein junges, noch unausgegorenes Genie auf ein späteres, ganz anders geartetes und nicht weniger eigensinniges prallt. Schmidt bekam 1960 vom Henry-Goverts-Verlag (Stuttgart) den Auftrag erteilt, Faulkners "Sketches" ins Deutsche zu übertragen. Längst schon war Faulkner, rückwirkend für 1949, mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden.

Schmidt, der über den Fahnen von "Kaff auch Mare Crisium" sitzt, lebt zu diesem Zeitpunkt bereits als Beinahe-Einsiedler mit Gemahlin und Katzen in seinem kleinen Häuschen in Bargfeld (Lüneburger Heide). Wer bei ihm eine Übertragung bestellt, weiß: Die Eigenheiten der Schmidt'schen Orthografie, die gleichsam lautmalerischen Qualitäten seiner Prosa, erhält der Auftraggeber ungefragt mitgeliefert.

Umgekehrt hat sich Schmidt, ein störrischer Verneiner des Betriebs, bemerkenswert eng an den englischen Lautfall der Vorlage angeschmiegt. Faulkner? Kann er in Wahrheit nicht gut leiden. Der US-Kollege hat das Spiel mit wechselnden Erzählperspektiven revolutioniert und die Bewusstseinsstromtechnik vollendet. In den "Sketches", meint Schmidt, sei allerlei Unreifes enthalten. Den Tagedieben, die in New Orleans die Rennplätze unsicher machen oder in der Jazzmetropole das Saxofon plärren hören, schenkt er dennoch ein schnoddriges, biegsames Gossenidiom.

Der Schöpfer von "Als ich im Sterben lag" oder "Licht im August" klingt in den Juvenilia an. Manche dieser Geschichten ohne besondere Moral oder Nutzanwendung brechen einem das Herz. In "Sonnenuntergang" lässt ein Schwarzer die Plantagen hinter sich und möchte auf möglichst direktem Wege nach "Af'ika" gelangen. Jeden Ticketverkäufer im Hafen löchert der Einfaltspinsel mit seiner Frage: "Käptn-Sörr, is hier Af'ika?"

Die Spritztour des mit einem Gewehr bewaffneten Wurzelforschers endet hinter einer Scheune. Dort liefert sich der vermeintliche Fernreisende mit der Nationalgarde ein Feuergefecht. Das gutmütige Gesicht des Sterbenden wandert nach oben, "hinauf zum Himmel, zu den kalten kalten Sternen: ob Afrika, ob Louisiana; was ficht das sie an?"

Und so kann man ein ganzes Arsenal sprachlicher Preziosen bewundern, mit Augen, die aussehen "wie 2 Stückchen Aprilhimmel nach einem Schauer". In der unbedingt empfehlenswerten Suhrkamp-Ausgabe gibt es dazu einen bemerkenswerten Bonustrack. Schmidts Kurzerzählung "Piporakemes!" enthält u. a. ein Selbstporträt als bezechter Thujenbegießer, der seinen Gartenschlauch so eng wie wirkungsvoll strahlen lässt. Ein Denkstück voll göttlicher Heiterkeit. (Ronald Pohl, 11.4.2017)